11 - Geheimagent Lennet auf der Insel des Schweigens
wenn ich den Verräter schon längst entlarvt habe. Es kann übrigens nur Goffic sein!«
»Wieso das?«
»Ein Spion ist ein Ungeheuer, und nur ein Ungeheuer kann so singen wie er.«
Der Spaziergang hatte nicht gerade freundlich begonnen. Am Strand betrachteten sie wehmütig die Reste ihres Floßes. Aber nicht lange.
»Ich mache einen Rundgang durch die Insel«, verkündete Lennet.
Liane sah ihn mit ironischem Blick an.
»Vergiß nicht, Jules nach seinen Erfahrungen zu befragen. Ich kümmere mich inzwischen um Goffic.«
»Es lebe die neue Mata Hari«, entgegnete Lennet und verschwand im Dschungel.
Er war froh, Liane los zu sein. Immer stärker machte er sich selbst Vorwürfe, sie in das Geheimnis eingeweiht zu haben, denn immer stärker wurde in ihm der Verdacht, daß sie irgendwie mit dem Feind zusammenarbeitete.
Den ganzen Nachmittag hindurch streifte er durch die Insel und suchte eine Stelle, wo man einen Apparat unterbringen konnte, um über größere Entfernungen hinweg Signale zu geben. Vor allem durchstöberte er den Südwesten. Hier gab es viele Pfade, die öfter begangen wurden. Aber er fand nirgendwo eine Spur, daß hier Material transportiert wurde.
Er hatte gerade einen Basaltfelsen erreicht, als er glaubte, ein Geräusch zu hören. Er fuhr herum. Etwas pfiff an ihm vorbei. Lennet ließ sich fallen.
Knapp neben ihm steckte ein Pfeil aus einem Blasrohr im Stein. Das gefiederte Ende zitterte noch.
Atropos bezwingt Amazone
Es war nicht das erste Mal, daß auf Lennet geschossen wurde. Aber es war der erste Angriff mit einem Blasrohr.
Und er war so plötzlich gekommen, daß Lennet sich, obgleich er nicht eigentlich Angst hatte, hinter seinem Stein ganz klein machte.
Doch es folgte kein zweiter Schuß. Da er keine Waffe bei sich hatte, konnte Lennet nicht zum Gegenangriff übergehen. Sollte er liegenbleiben und warten, ob der Gegner einen zweiten Angriff startete? Oder war es besser, die Beine in die Hand zu nehmen und das Weite zu suchen?
Zwei Überlegungen brachten Lennet dazu, die zweite Lösung zu wählen. Erstens hatte die Insel von seinem Standpunkt bis zum Dschungel ein Gefalle, so daß er rasch eine neue Deckung fand. Zweitens war er bei einem kräftigen Dauerlauf schneller bei der Festung als sein Gegner, und er konnte dort feststellen, wer fehlte.
Ohne weiter nachzudenken, sprang Lennet hoch, machte eine Hechtrolle erster Klasse, um einem zweiten Schuß aus dem Blasrohr wenig Ziel zu bieten, und rannte dann mit Höchstgeschwindigkeit los. Ein zweiter Pfeil flog weit an ihm vorbei. Im Zickzack stürzte Lennet den Hang hinab.
Aber es gab keinen dritten Schuß. Offenbar wollte der Gegner nicht mit einer Pistole oder einem Gewehr schießen, um nicht durch den Knall die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Deshalb diese primitive Waffe. Oder wollte er damit vorgeben, ein Wilder mache Jagd auf Menschen?
Fünf Gesichter, fünf Gestalten zogen am Geist Lennets vorbei: Porticci, der athletische Chef, Baret, der alte Herr mit den weißen Haaren, der finstere Plana, Goffic, der sich für musikalisch hielt, die melancholische Madeleine Terran. All diese Leute hatte er theoretisch genau studiert.
Und dennoch hätte er nicht sagen können, welcher von ihnen ihm irgendwie verdächtig erschien.
Die Sonne ging unter. Grüne Wolken schienen mit violetten zu ringen, und alle schwammen in einem Himmel von unglaublichem Rot. Jules, die Pythonschlange, hatte sich auf einem Ast zusammengerollt und verdaute ihre Beute.
Lennet erreichte immer noch laufend den kleinen Hügel, auf dem die Festung lag, ohne auch nur ein wenig langsamer geworden zu sein.
Die Eingangstür war offen. Der alte Baret kam wohl gerade von einem Spaziergang zurück. Er schien mit dem Gitter im Vorraum zu sprechen. In Wirklichkeit flüsterte er nur das Losungswort des Tages. Lennet schloß sich ihm an. Der Meeresforscher lächelte ihn an: »War’s schön heute nachmittag?«
»Wunderbar, vielen Dank.«
Gemeinsam gelangten sie in den Rundgang. Lennet hatte den Weg in fast direkter Linie zurückgelegt. Es war also ausgeschlossen, daß Baret schneller als er gewesen sein sollte, wenn er von der gleichen Stelle gestartet war.
Übrigens war er nicht im geringsten außer Atem.
Einer scheidet aus, dachte Lennet.
Plana erschien in der Tür seines Büros.
»Ich habe geglaubt, Sie seien verlorengegangen, Blanchet«, sagte er. Sichtlich war er schlecht gelaunt.
Der zweite, dachte Lennet.
Er warf einen Blick durch die halboffene Tür des
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