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11 - Nie sollst Du vergessen

11 - Nie sollst Du vergessen

Titel: 11 - Nie sollst Du vergessen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth George
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Furcht, die sie vor langer Zeit begraben hatte, waren ihr Antwort genug. Ihr ganzes Leben, so schien ihr, war von dieser Furcht bestimmt und beherrscht gewesen, einem tiefen Grauen vor etwas, dem sie niemals einen Namen geben und erst recht nicht ins Gesicht hatte sehen wollen.
    Sie versuchte, das Denken abzuschalten. Sie wollte nicht darüber nachdenken, dass ihr wieder einmal nichts geblieben war als die Erkenntnis, dass es keine rettende Zuflucht gab, auch wenn sie noch so entschlossen war, sich den Glauben an ihre Existenz nicht rauben zu lassen.
    Sie hasste sich. Sie hasste sich so sehr, wie sie Roger Edwards gehasst hatte, und mehr - viel mehr -, als sie Katja hasste, die ihr diesen Moment der Wahrheit beschert hatte und sie zwang, in den Spiegel zu sehen, lange und kritisch. Es änderte nichts, dass jeder Kuss, jede Umarmung, jeder Liebesakt und jedes Gespräch auf einer Lüge gegründet waren, die sie nicht hatte erkennen können. Was zählte, war die Tatsache, dass sie, Yasmin Edwards, sich darauf eingelassen hatte. Darum dieser Selbstekel, der sie verzehrte, diese tausend Ich hätte es wissen müssen.
    Als Katja zur Tür hereinkam, sah Yasmin auf die Uhr. Sie war auf die Minute pünktlich, aber das war ja von Anfang an klar gewesen, dass sie pünktlich kommen würde, denn Katja Wolff hatte ein gutes Gespür dafür, was in anderen vorging. Es war eine Überlebenskunst, die sie sich im Gefängnis angeeignet hatte, und Yasmins Besuch in der Wäscherei hatte ihr natürlich verraten, dass etwas geschehen war. Darum die pünktliche Heimkehr. Sie war vorbereitet.
    Aber sie wusste natürlich nicht, worauf sie vorbereitet sein musste. Das war der einzige Vorteil, den Yasmin hatte. Sonst lagen alle Vorteile bei der Freundin, und der Wichtigste war immer unübersehbar gewesen, obwohl Yasmin ihn stets geleugnet hatte.
    Zielstrebigkeit. Die Tatsache, dass sie stets ein Ziel vor Augen gehabt hatte, war im Gefängnis Katja Wolffs Rettung davor gewesen, den Verstand zu verlieren. Sie war ein Mensch, der immer Pläne hatte, und so war sie ihr Leben lang gewesen. »Du musst wissen, was du willst, wenn du hier herauskommst«, hatte sie immer wieder zu Yasmin gesagt. »Gönne ihnen nicht den Triumph, dich zerstört zu haben.« Yasmin hatte gelernt, Katja Wolff für diese eiserne Entschlossenheit, der Situation zum Trotz die zu werden, die sie immer hatte werden wollen, zu bewundern. Und danach hatte sie gelernt, Katja Wolff dafür zu lieben, dass sie ihnen beiden, selbst hinter Gefängnismauern, stets eine Zukunftsvision geboten hatte.
    Sie hatte zu ihr gesagt: »Du musst zwanzig Jahre hier drinnen bleiben. Glaubst du im Ernst, du wirst mit fünfundvierzig einfach rausmarschieren und anfangen, Mode zu machen?«
    »Ich werde mir ein Leben aufbauen«, hatte Katja versichert.
    »Ich werde niemals klein beigeben, Yas. Ich lasse mir mein Leben nicht nehmen.«
    Dieses Leben musste aber irgendwo beginnen, wenn Katja ihre Strafe verbüßt hatte und in die Gesellschaft entlassen wurde. Sie brauchte eine Zuflucht, wo sie vor dem öffentlichen Interesse sicher wäre, um in Ruhe ihre Welt neu aufbauen zu können. Kein Rampenlicht. Sie könnte ihren Traum nicht verwirklichen, wenn es ihr nicht gelänge, sich reibungslos wieder in die Gesellschaft einzufügen. Für sie als ehemalige Strafgefangene würde es schwierig genug werden, sich auf dem heiß umkämpften Modemarkt durchzusetzen.
    Als sie nach Kennington zu Yasmin gezogen war, hatte Yasmin damit gerechnet, dass sie eine gewisse Anpassungszeit brauchen würde, ehe sie daran gehen konnte, die Träume zu verwirklichen, von denen sie immer gesprochen hatte. Sie hatte Katja deshalb Zeit gelassen, mit der Freiheit wieder Bekanntschaft zu schließen, und sich nicht gewundert, als Katja sich nicht unmittelbar anschickte, die Ziele, von denen sie im Gefängnis stets gesprochen hatte, in Angriff zu nehmen. Die Menschen sind eben unterschiedlich, dachte sie. Es hatte überhaupt nichts zu bedeuten, dass sie selbst von dem Moment an, als sie endlich frei war, wie eine Wilde losgelegt hatte, um sich ihr neues Leben zu schaffen. Sie hatte schließlich einen Sohn, für den sie sorgen musste, und eine geliebte Freundin, auf deren Kommen sie sich jahrelang vorbereitete. Sie hatte Gründe, ihre Welt in Ordnung zu bringen, um zuerst Daniel und später Katja das Heim bieten zu können, das die beiden verdienten.
    Aber jetzt erkannte sie, dass Katjas Worte nicht mehr als eben das gewesen waren: Worte.

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