1104 - Die Spur des irren Köpfers
den Wagen. »Aber du bist ihm entkommen, nicht wahr? Das ist doch schon etwas.«
»Nur mit Glück, mit viel Glück. Vielleicht weiß er gar nicht, daß ich noch lebe.«
»Das wäre gut.«
»Wieso?«
»Dann wird er es noch einmal versuchen.«
Der G-man lachte krächzend auf. »Du hast Nerven. Ich spiele ja gern den Lockvogel, aber nicht in einer solchen Situation. Ich bin so gut wie platt.«
Abe erhielt von mir keine Antwort mehr. Ich konzentrierte mich aufs Fahren.
Es war eine Nacht beinahe wie aus dem Bilderbuch. Ein sternenklarer Himmel mit einem fast vollen Mond, der diesem Teil des Landes einen wundersamen und schon leicht romantischen Glanz verlieh.
Davon durfte ich mich nicht täuschen lassen, denn irgendwo in der Nähe lauerte ein grausamer Tod…
***
Abe litt unter den Schmerzen, die ihn in intervallartigen Stößen erwischten und seinen Kopf malträtierten.
»John…«
»Was ist?«
»Versprich mir, daß du diesen Irren jagst. Ich bin ja außer Gefecht gesetzt worden. Ich zähle auf dich…«
»Versprochen.«
»Und sei nicht so dumm wie ich. Schieß sofort. Laß dich auf nichts ein. Laß dich vor allen Dingen nicht ablenken wie ich es getan habe. Das ist wichtig.«
»Klar.«
Er stöhnte auf. »Verdammt mein Kopf…«
»Das kriegen wir hin. Versuch nur, dich auszuruhen. Ich weiß, das ist leichter gesagt als getan. Aber denk an deinen Blutverlust. Er soll nicht noch schlimmer werden.«
»Nein, nein, keine Sorge. Aber ich kann einfach nicht still sein. Ich muß reden, sonst machen mich die Schmerzen verrückt. Die ziehen wie Sägeblätter durch meinen Kopf.« Er zischte die Luft aus und war danach für eine Weile still.
Ich konzentrierte mich auf das Fahren und dachte auch an den irren Köpfer. Er konnte sich bewegen wie kein Mensch. Er war schnell, er hatte die Gesetze der Physik außer Kraft gesetzt. Er konnte von einem zum anderen Ort wechseln, ohne daß er ein Fahrzeug brauchte. Der Teufel oder wer auch immer mußte ihm diese Macht nach dem Tod verliehen haben. Wahrscheinlich als Dankeschön für die Opfer, die auf Truman Dobbs' Kappe gingen.
Die Straße lag vor mir wie ein dunkler Fluß. Oder mehr wie ein Kanal, denn es gab keine Wellen.
Wellig waren nur die Hügel oder Berge, die sich am Horizont oder noch davor wie schwarze Buckel abmalten und über die einsame Landschaft hinwegschauten.
Die Raststätte mußte ich passieren, dann ging es weiter bis nach Gatesville. Leider noch mehr als drei Viertel der gesamten Strecke. In der Dunkelheit wirkte die Raststätte nebst ihrer Beleuchtung wie ein von fremden Sternen stammendes und auch gelandetes Raumschiff. Die schweren Trucks standen dort noch immer.
Ich spielte für einen Moment mit dem Gedanken, Abe Douglas dort abzuliefern und in der Obhut des Wirts zu lassen. Zumindest so lange, bis er einen Krankenwagen gerufen hatte. Dann wäre der G-man aus der Gefahrenzone gewesen, denn Truman Dobbs traute ich nach wie vor alles zu. Ich mußte wohl bei meinen Überlegungen das Tempo etwas gedrosselt haben, denn auch Abe war aufmerksam geworden.
»Fahr nur weiter, John. Ich kann mir schon vorstellen, woran du gerade denkst.«
»Schon gut.«
»Ich will nicht, daß andere in Gefahr gebracht werden«, sagte Abe leise.
Wir ließen die Insel aus buntem Licht hinter uns. Die Einsamkeit der Nacht kehrte zurück, nur durchbrochen vom Licht der Scheinwerfer. Manchmal sah der Belag der Straße aus, als hätte er sich in Wasser verwandelt.
Abe Douglas war jetzt stiller geworden. Nur ab und zu atmete er seufzend ein. Danach fluchte er jedesmal leise vor sich hin.
Ich gab wieder mehr Gas. Abe mußte so rasch wie möglich in ärztliche Behandlung.
Etwas tanzte über der Straße im Licht!
Zuerst dachte ich an ein Insekt, das durch Licht und Schatten vergrößert wirkte. Mit zickzackartigen Bewegungen näherte es sich der Frontscheibe, und ich vergaß, daß es ein Insekt hätte sein können.
Das war alles andere als das.
Ich trat nicht einmal mehr auf die Bremse. Aber ich hatte erkannt, wer da vor der Scheibe herumgeturnt war.
Der Kopf des Köpfers!
***
Da raste plötzlich der Adrenalinstoß durch meinen Körper. Das Blut stieg mir ins Gesicht, und trotzdem riß ich mich soweit zusammen, daß ich normal weiterfuhr. Ich wollte nicht, daß Abe etwas merkte. Seine Verletzungen machten ihm schon genug zu schaffen. Mir war mittlerweile klar, daß Truman Dobbs noch längst nicht aufgegeben hatte. Er wollte diejenigen aus dem Weg räumen, die zu nahe an
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