1105 - Glendas Totenhemd
Isabella scharf, als sie sah, daß ich plötzlich zögerte.
»Ich werde es nicht schaffen.«
»Warum nicht?« Jetzt klang ihre Stimme drohend.
»Es kann nicht klappen. Der Stoff hat sich verändert. Er ist nicht mehr weich, sondern hart wie Blech. Es ist einfach unmöglich, daß es mir passen wird.«
»Du suchst nach Ausreden!«
»Nein!«
Etwas Kaltes drückte sich in meinen Nacken. »Du wirst dir das Kleid überstreifen, Sinclair. Es gibt keine Chance für dich. Es sei denn, du willst die Kugel haben.«
»Gut. Es soll geschehen, was du willst.«
»Das meine ich auch!«
Der Druck verschwand. Ich hörte, wie Isabella zurücktrat. Ich streckte dem Kleid meine Hände entgegen und hatte die Arme dabei ausgebreitet. In meinem Magen klumpte sich etwas zusammen.
Es war ein verdammte Kälte und verbunden mit einem harten Druck. Was würde passieren, wenn es mir gelang, das Kleid tatsächlich über meinen Kopf zu streifen und es fast normal anzuziehen?
Meine Handflächen berührten den Stoff. Ich wollte ihn zusammendrücken, doch das war nicht zu schaffen. Es blieb so aufgeplustert oder verändert wie immer, als würde ein Körper darin stecken.
Für mich der reine Wahnsinn aber auch eine Chance. Hier mußte der Verstand ausgeschaltet werden und die Magie hineingenommen werden. Ich merkte, wie sich das Kreuz leicht erwärmte. Es hatte die fremde Magie gespürt und baute einen Widerstand auf.
»Mach schon!« drängte Isabella.
Ich drehte mich zu ihr um. Das Kleid hielt ich mit beiden Händen fest, und es schwebte dabei über dem Boden. Um das anziehen zu können, mußte ich es mir über den Kopf stülpen. Es konnte dann an meinem Körper herabgleiten, wenn alles so klappte wie sich Isabella das vorgestellt hatte.
Noch immer war das Kleid fest, und ich entdeckte auch nicht die geringste Falte im Stoff. Um hineinsteigen zu können, mußte ich es anheben. Über dem Kopf schweben lassen. Dann würde es rutschen.
Alles, was hier lächerlich aussah, war tatsächlich schauriger Ernst. Eine Sache, die auf Leben und Tod ging. Ich reagierte sehr langsam und zögerte die Aktion so weit wie möglich hinaus.
Isabella schaute mir zu. Die Waffe war auf mich gerichtet. Ich mußte in die Knie gehen, denn zwischen Boden und Decke befand sich nicht genügend Platz, um den steifen Gegenstand normal über den Kopf streifen zu können.
Meine Arme waren fast gestreckt. Das Kleid schwebte jetzt über mir. Ich brauchte es nur zu senken, dann würde es über mich fallen und mich umschließen.
Wenn alles normal ging.
Es ging nicht normal.
Das Kleid wehrte sich.
Zugleich nahm die Wärme auf meinem Kreuz zu. Der Stoff in der Tasche schaffte es nicht, sie zurückzuhalten. Sie strich über meine Haut hinweg.
»Los jetzt!« Die Worte waren von einem kreischenden Unterton begleitet.
»Nein, es geht nicht!«
»Du willst es nicht, verdammt!«
»Es ist zu hart!«
Isabella erstickte beinahe an ihrem Haß. »Du sollst es tun, verflucht noch mal! Du und kein anderer. Hast du verstanden?«
Es war wirklich nicht möglich. Zwischen dem offenen Unterteil des Totenhemds und meinem Körper schien ein unsichtbares Brett zu liegen. Da war nichts zu machen. Ich hätte mich wahrscheinlich von meinem Kreuz trennen müssen, doch das wollte ich nicht.
Ich startete einen letzten Versuch, um Isabella zu beweisen, daß ich ihr nichts vorspielte. Und ich strengte mich dabei wirklich an, aber es hatte keinen Sinn.
»Tut mir leid«, sagte ich leise und ließ das Kleid dabei sinken, um es vor mich hinzustellen.
Isabella war nicht mit normalen Maßstäben zu messen. Sie schüttelte sich. Sie schnappte nach Luft.
Das Gesicht war hochrot angelaufen. So sah eine Person aus, für die eine ganze Welt zusammengebrochen war.
»Mir auch!« sagte sie.
Der Tonfall in ihrer Stimme störte mich ebenso wie der Revolver zwischen ihren Händen.
Es blieb keine Zeit für mich, näher darüber nachzudenken, denn Isabella machte ernst.
Sie schoß aus kurzer Distanz auf mich!
***
Wo bin ich? Wie bin ich hierher gekommen?
Es waren die ersten Fragen, die Glenda Perkins beschäftigten, und sie war froh darüber. So wurde ihr bewiesen, daß sie noch lebte und sich weder im Reich des Todes befand, noch zu Asche geworden war wie die anderen Frauen.
Obwohl sie wußte, daß sie sich normal bewegen konnte, blieb sie zunächst stehen und schaute sich in der Umgebung um, die von unterschiedlichen Grautönen gezeichnet war.
Der graue Himmel, die Weite, der dunkle Hügel, das
Weitere Kostenlose Bücher