1109 - Die Stunde der Krieger
übertragen."
Chrubchur war noch immer nicht bereit, diese Anschuldigungen ernst zu nehmen, aber die anderen Halberben sahen ihn so feindselig an, das ihm erste Bedenken kamen.
„Sage du ihnen, wie es war", wandte er sich an Chrechram. „Sage ihnen alles - auch, daß ich versucht habe dir zu helfen."
Chrechram starrte ihn an und hol dann ratlos die Handlungsarme.
„Ich kann mich an nichts erinnern", behauptete er. „Ich weiß nicht einmal mehr, wie ich hierhergekommen bin."
„Da du die Flamme nicht hier verloren hast, ist das auch ziemlich unwichtig", sagte Chrubchur beruhigend. „Du brauchst ihnen nur zu erzählen, wie und wann es zu dem Verlust gekommen ist!"
Chrechram sah ins Leere und bewegte ratlos die Stirnsensoren.
„Es tut mir leid", sagte er schließlich. „Aber ich kann mich auch daran nicht erinnern."
Chrubchur bekam keine Zeit, seiner Enttäuschung Ausdruck zu geben. Erst als er in einer Arrestzelle eingesperrt war, begriff er, was geschehen war, und allmählich begann er auch, die Halberben zu verstehen.
Er kauerte sich auf den harten Boden und starrte verzweifelt die kahlen, dunklen Wände an. Er hatte die Trauer um seine Erzeuger noch nicht überwunden, und doch war er in gewisser Weise froh, daß sie nicht mehr am Leben waren. So erfuhren sie wenigstens nicht, wie schmählich er versagt hatte.
Er hatte von Anfang an einen Fehler nach dem anderen gemacht. Er hätte die Halberben nicht mit seinen Ideen überrumpeln dürfen. Wenn er nicht so ungeduldig gewesen wäre - eine Eigenschaft, die eines Vollerben absolut unwürdig war -, dann hätte er sie sich einzeln und vorsichtig vorgenommen und zunächst versucht, sie an diese neuen Gedanken zu gewöhnen. Vor allem aber hätte er sich nicht so offenkundig gegen sie gestellt, als sie verwirrt und unsicher waren.
Seine Forderung, daß die Überreste von Heimat zerstört werden sollten, mußte sie schockieren und abstoßen. Natürlich hätten sie es trotzdem nicht gewagt, ihn gewaltsam zurückzuhalten. Aber das Auftauchen eines flammenlosen Halberben bot ihnen eine gute Ausrede an, und Chrubchur konnte es ihnen nach einigem Nachdenken nicht einmal übelnehmen, daß sie eine so günstige Gelegenheit wahrgenommen hatten. Sie wußten mit Sicherheit selbst, wie absurd es war, Chrubchur für Chrechrams Zustand verantwortlich zu machen. Aber sie würden das kaum zugeben.
*
Niemand kümmerte sich um Chrubchur. In seiner Zelle war es immer still. Kein Laut drang von draußen herein.
Am Tage brannte eine helle Lampe, und dreimal täglich öffnete sich eine Klappe in der Wand.
Jedesmal stand dahinter ein Becher mit heißem Tee, und daneben lagen ein paar dünne, sehr süße Synthokekse. Am Abend erlosch die Lampe fast völlig und gab nur noch ein schwaches, silbriges Schimmern ab.
Vier Tage und vier Nächte vergingen auf diese eintönige Weise. Chrubchur, der während seines bisherigen Lebens noch nie eine unausgefüllte Stunde erlebt hatte, litt Höllenqualen, weil er zu solcher Untätigkeit verurteilt war. Er versuchte, sich die Zeit zu vertreiben, indem er sich Lösungen für die unterschiedlichsten Probleme ausdachte, aber das half ihm nur wenig. Auch die Stille machte ihm zu schaffen. Er hatte niemanden, mit dem er sprechen konnte, und zum erstenmal in seinem Leben war er wirklich einsam. Zu allem Überfluß brachte er die zuckersüßen Kekse nur mit Mühe hinunter, denn er war an frisches Obst und Gemüse gewöhnt, das man in den Kavernen von Heimat jederzeit hatte bekommen können.
Dennoch zwang er sich, zu essen und sich regelmäßig zu bewegen, denn er wollte nicht schwach und hinfällig werden, bis man ihn aus dieser Zelle herausholte.
Am schlimmsten aber war für ihn die Ungewißheit. Er hatte ganz bestimmte Vorstellungen von dem, was geschehen mußte, wenn die Unaussprechlichen nicht sehr schnell wieder zur Besinnung kamen. Seine Phantasie gaukelte ihm die schrecklichsten Visionen vor, und er schwankte zwischen der mühsam genährten Hoffnung, daß Angehörige seines Volkes sich nicht so dumm anstellen konnten, und tiefster Verzweiflung.
Als er die erste Mahlzeit des dritten Tages verzehrt hatte und sich noch bemühte, den ekelhaften Geschmack der Kekse mit dem Tee herunterzuspülen, öffnete sich plötzlich die Tür der Zelle.
Chrubchur hatte auf ein solches Ereignis die ganze Zeit hindurch gewartet, aber jetzt, da es geschah, erschrak er so sehr, daß er den Rest des Tees verschüttete. Er richtete sich auf und spähte
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