1113 - Die Fratzen der Fresser
gebracht, war aufgestanden und wollte zur Tür, als sie etwas hörte.
Die Stille war nicht mehr da.
Das hätte sie nicht gestört, es ging ihr einzig und allein um die Veränderung. Es hatte jemand den Vorraum betreten. Völlig normal. Als nicht normal empfand sie die Geräusche. Die Leute, die eingetreten waren, verhielten sich seltsam. Wenn Frauen gemeinsam zur Toilette gingen und welche, die sich noch kannten, dann unterhielten sie sich. Selbst Fremde sprachen dann miteinander.
Hier nicht.
Und doch waren sie vorhanden!
Glenda hörte ihre Schritte.
Ein leises Tappen. So ging jemand, der nicht unbedingt gehört werden wollte.
Sie traute sich noch nicht, die Kabine zu verlassen. Sehr dicht stand sie an der Tür, um herauszufinden, was dahinter weiter ablief. Die Tritte waren geblieben, und sie näherten sich genau ihrer Toilettentür. Schleichend, sehr langsam, als wäre jeder Ankömmling bereit, sofort wieder kehrtzumachen, wenn es die Lage erforderte.
Die Schritte verstummten.
Es wurde wieder still.
Glenda Perkins traute dem Frieden nicht. Wer sich so bewegte, der hatte etwas vor und wollte gar nicht gehört oder beobachtet werden.
Dann hörte sie das Kratzen.
Von außen kratzte jemand über das Holz hinweg. Entweder mit einem spitzen Gegenstand oder mit sehr langen Fingernägeln, die ihre Bahnen von oben nach unten zogen.
Das Geräusch hörte sich alles andere als gut an. Sie spürte, wie etwas ihren Rücken hinabfloß, das sich anfühlte wie ein dickes sirupartiges Eiswasser.
Was da vor der Tür geschah, war nicht normal. So verhielt sich kein Mensch, der auf die Toilette gehen wollte. Sie persönlich war das Ziel gewesen und keine der anderen Kabinen.
Atmete jemand?
Ja. Das Holz war nicht dick genug, um die typischen Geräusche zurückzuhalten. Das zischende Einund Ausatmen. Dazwischen ein leises Röcheln oder Stöhnen.
Dann erklang die Stimme auf. Sie war rauh und kehlig. Sie war auch neutral, so daß Glenda nicht herausfand, ob sie einer Frau oder einem Mann gehörte.
Aber sie war in der Lage, die Worte zu verstehen. Die Warnung konnte sie einfach nicht überhören, und der Schauer auf ihrem Rücken verdichtete sich dabei.
»Hüte dich. Fahr zurück… komme uns nicht in die Quere. Wir sind stärker als du, hörst du? Es ist unsere Reise ans Ziel. Wir alle wollen ankommen, und wir alle werden ankommen, das ist uns versprochen worden. Du gehörst nicht zu uns, und der Kerl, den du bei dir hast, auch nicht. Wir sind auf dem richtigen Weg, und wir werden uns auch nicht von dir abhalten lassen.«
Es hatte nicht nur eine Stimme gesprochen. Glenda war der Meinung, daß sich zumindest drei Personen abgewechselt hatten. Ein Mann war dabeigewesen.
Sie hatte die Warnung sehr genau verstanden, aber sie gab keine Antwort. Die kurze Pause wollte sie noch abwarten, weil sie davon ausging, daß die anderen noch vor der Tür standen.
Sekunden verstrichen, in denen sie den Atem anhielt. Dann sah sie, daß sich die Klinke vor ihr nach unten bewegte. Zum Glück hatte sie abgeschlossen. Wer die Kabine betreten wollte, der mußte die Tür schon aufbrechen.
Sie war einen Schritte zurückgegangen. Die Kabine kam ihr so eng vor. Sie schien noch düsterer geworden zu sein und hatte sich in ein Gefängnis verwandelt. Ihre Nerven waren zum Zerreißen gespannt. Sie dachte auch daran, in die Handtasche zu greifen und eine Waffe hervorzuholen.
Darauf verzichtete sie. Die anderen hatten ihr nichts getan, und so brauchte sie sich nicht zu wehren.
Sie hörte ein leises Lachen, bevor sich die Klinke wieder in die Höhe bewegte. Noch einmal warnte die Stimme.
»Nimm unseren Rat an und verschwinde. Du bist hier falsch. Zuviel Neugierde kann oft lebensgefährlich sein.«
Es folgte ein Kichern.
Aber es lachte nicht nur eine Person, sondern zwei oder drei. Sie hörte das unterschiedlich klingende Lachen und glaubte auch, dazwischen die Schritte zu vernehmen, als sich die Besucher oder Besucherinnen wieder zurückzogen.
Danach war es still.
Glenda atmete tief durch. Besonders ging es ihr nicht. Der Besuch wirkte noch immer nach. Sie merkte den leichten Schwindelanfall und stützte sich an der Seitenwand ab. Auch in den Knien hatte sich ein weiches Gefühl ausgebreitet.
Sie ließ noch einige Sekunden verstreichen, obwohl sie sich in der, verdammten Kabine alles andere als wohl fühlte. Aber sie wollte auf Nummer Sicher gehen.
Vorsichtig öffnete Glenda.
Sie schaute hinaus in den Vorraum. Er war leer.
Keine zweite
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