1117 - Herr über Leben und Tod
der sich Jane nicht entziehen konnte.
Es kam ihr vor, als hätte dieser Mann innerhalb kürzester Zeit ein unsichtbares Netz über sie gespannt, in dessen Fäden sie sich jetzt schon verheddert hatte.
Vernon Taske blieb in normaler Entfernung vor ihr stehen. Mit einer wohl abgezirkelten Bewegung streckte er ihr seine Hand entgegen. Die Finger waren lang. Zwei silberne Ringe schimmerten an den Fingern, und als Jane ihre Hand in seine legte, da spürte sie auch die leichte Kühle, die von der Haut abging. Als hätte er die Finger soeben aus der Tiefkühltruhe gezogen.
»Willkommen, Jane«, sagte er. Die Stimme blieb ebenfalls nicht ohne Wirkung auf die Detektivin. Sie besaß einen vollen Klang, sie war männlich und ebenfalls zwingend wie der Blick. Diese Stimme schien keinen Widerspruch zu dulden.
»Danke.«
Vernon Taske ließ ihre Hand los. »Bitte, wollen wir uns nicht setzen.« Er wies an Jane vorbei auf eine Gruppe kleiner, bequemer Sessel, die ebenfalls mit weißem Leder überzogen waren.
Jane blieb nichts anderes übrig, als sich zu fügen. Dabei ärgerte sie sich über sich selbst. Sie kam sich ausgeliefert vor und zugleich wie in einem Gefängnis sitzend. Da Fenster in diesem Raum fehlten, verstärkte sich der Eindruck noch. Frische Luft wurde von der Klimaanlage erzeugt, deren Summen kaum zu hören war.
Der Sessel war weich. Das glatte Leder drückte sich unter ihr zusammen. Jane kam sich vor wie auf einer Wolke schwebend. Die Sitzgelegenheiten umrundeten einen oben gläsernen Tisch. Er stand nur auf einem Marmorfuß und wies die Form eines Fünfecks auf.
Veritas nahm ebenfalls Platz. Jane fiel auf, dass er einen flachen und rechteckigen Gegenstand in der rechten Hand hielt. Er sah aus wie eine Fernbedienung. Vorsichtig drapierte er das Objekt auf die Glasplatte. »Sie sehen etwas erschöpft aus, meine Liebe. Wie wäre es, wenn ich Ihnen etwas zu trinken bringe?«
»Nein, danke, das möchte ich nicht. Sehr nett von Ihnen, wirklich, aber ich habe keinen Durst.« Sie hatte Durst, aber sie wollte nichts von diesem Mann trinken, weil sie auch damit rechnete, dass der Drink präpariert war.
»Wie Sie wollen. Wenn Sie es sich anders überlegt haben, dann sagen Sie es mir.« Diesmal hatte seine Stimme wieder anders geklungen. Sie war weicher geworden. Jedes Wort, beinahe jeden Buchstaben hatte er überdeutlich ausgesprochen. Wie manche Therapeuten, wenn sie mit ihren auf der Couch liegenden Patienten redeten.
Seine Lippen inmitten des dunklen Barts verzogen sich zu einem Lächeln. »Sie haben ein Problem, denke ich, sonst wären Sie nicht zu mir gekommen. Und ich muss auch kein Hellseher sein, um das herauszufinden.«
»Stimmt.«
Er nickte, schaute sie an und nahm dabei die Fernbedienung wieder in die Hand. »Wollen Sie mir jetzt die Grundzüge des Problems verraten, Jane?«
»Ja, das hatte ich vor.« Sie schaute sich um.
»Ist was?« erkundigte sich Taske besorgt.
»Ja und nein. Ich meine, ich… es ist etwas hell hier, und ich weiß nicht …«
»Das lässt sich leicht ändern, Jane. Einen Moment nur.« Er drückte auf einen hellen Knopf der Fernbedienung, und schon wurde das Licht schwächer. Er dimmte die Helligkeit weg, so dass die Schatten wie eine künstliche Dämmerung einfielen. Das Weiß der Decke verschwand und schuf einem grauen Firmament Platz, das nicht völlig leer war, denn dort zeichnete sich das Funkeln der Sterne ab. Die Decke musste präpariert sein, denn weitere Lichter gab es unter ihr nicht.
Die künstliche Dämmerung schien einen Teil der Gestalt geschluckt zu haben. Vernon Taske trug nicht umsonst den dunklen Anzug. Jetzt malte er sich kaum noch ab. Dafür sah sie das weiße Hemd und auch sein Gesicht, das nun viel heller aussah.
»Ist es für Sie so besser, Jane?«
»Ja, vielleicht.«
»Gut, meine Liebe, dann können wir beginnen. Zuvor muss ich Ihnen sagen, dass ich Zeit habe, sehr viel Zeit. Sie brauchen sich an kein Limit gebunden zu fühlen.«
»Danke, das ist nett.«
»Und nun zu Ihrem Problem. Seien Sie offen.« Er bog seine Arme zur Seite wie ein Betender. »Bitte, sagen Sie mir, was Sie bedrückt. Laden Sie Ihre Probleme und Sorgen bei mir ab.«
Jane Collins nickte. Sie fühlte sich so schmal, so verschüchtert, wie ein kleines Mädchen vor dem gestrengen Oberlehrer.
»Bitte…«
»Ich habe Angst!« Sie hatte den Satz hervorgestoßen und ärgerte sich über die eigene Stimme. Eigentlich hätte sie ihn ganz anders aussprechen wollen, das zumindest hatte sie
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