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112 - Der tägliche Wahnsinn

112 - Der tägliche Wahnsinn

Titel: 112 - Der tägliche Wahnsinn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingo Behring
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doch noch ein wenig über die Heimbewohnerin zu erfahren, konnte sie, wie erwartet, nicht beantworten. Sie wiederholte ihre Aussage, dass sie nur Nachtschichten mache und auch erst vor kurzem in dem Heim angefangen habe. Es hätte nur noch gefehlt, dass sie behauptet hätte, sie würde die Frau am Boden nicht kennen.
    Nach einer Weile begann ich mich zu wundern, warum der Kollege überhaupt nicht zurückkehrte.
    «Steht der vielleicht unten vor verschlossener Tür?», fragte ich etwas gestresst die Pflegerin.
    «Äh … o ja, da sagen Sie was.» Anscheinend hatte sie inzwischen verstanden, dass es womöglich doch nicht nur an dem defekten Hinterkopf lag, dass die alte Dame vor mir so verstockt schwieg, jedenfalls bewegte sie sich auf dem Weg zum Eingang jetzt schon etwas schneller als eine tektonische Verschiebung.
    Kurz darauf betrat sie mit Kevin das Zimmer, der einen Beatmungsrucksack und einen Defibrillator bei sich hatte. Na, dann konnte es ja endlich losgehen!
    Wir spulten das Standardprogramm ab, mit klar verteilten Aufgaben, wie in der Schule für Rettungsassistenten gelernt: Während Kevin drückte, beatmete ich die Frau mit dem Beutel aus dem Rucksack, wobei ich in den Beatmungspausen das EKG klebte, einen venösen Zugang in den Arm legte und die Intubation, also das Einbringen eines Beatmungsschlauchs, vorbereitete. Und weil danach der Notarzt immer noch nicht da war, schob ich der Patientin auch den Schlauch in die Luftröhre. Es blieb sogar Zeit, die ersten Medikamente zu geben, bis der Arzt eintraf.
    Plötzlich klingelte bei Schwester Merknix das Haustelefon.
    «Äh, wer ist da?», fragte sie gedehnt, als sie den Hörer abnahm. «Der Notarzt? Ach so, ja. Ich komme.»
    Jetzt stand der Mediziner vor verschlossener Tür! Hatte die Schwester diese nicht so umgestellt, dass sie automatisch aufging, wenn jemand hinein- oder hinauswollte? Ich konnte es kaum fassen, wie wenig sie mitdachte. Eine erwachsene Frau!
    Sie hetzte erneut die Treppen hinunter ins Erdgeschoss, um den Arzt hereinzulassen. Als der dann endlich bei uns war, hatten wir die Bewusstlose fast komplett versorgt. Ich war gerade dabei, die zweite Dosis Adrenalin – ein Medikament, das die Herztätigkeit anregt – zu spritzen.
    «Oh», staunte er nicht schlecht, als er die Szene im Zimmer überblickte. «Die Patientin ist sogar schon intubiert!»
    «Richtig», entgegnete ich. «Sie wissen ja gar nicht, wie lange wir so intim mit der Dame zusammen sein durften. Aufgrund der guten Unterstützung durch das Pflegepersonal hatten wir etwas mehr Zeit, als uns lieb war. Und wenn wir jetzt noch einen Kreislauf hinbekommen, können wir auch ins Krankenhaus fahren.» Danach erklärte ich ihm kurz, wie wir die Patientin vorgefunden und welche Maßnahmen wir durchgeführt hatten. Anschließend übernahm der Arzt die Einsatzleitung.
    Der Rest war Routine. Nach ein paar weiteren Minuten, in denen wir die Dame reanimierten, begann ihr Herz glücklicherweise in einem brauchbaren Rhythmus zu arbeiten. Wir konnten sie zum Transport auf die Trage legen, und mit Notarztbegleitung brachten wir sie zur nächsten Intensivstation.
    Seit diesem Einsatz nehme ich auch bei vermeintlichen Bagatelleinsätzen wie einer gemeldeten Platzwunde immer einen Beatmungsbeutel mit. Erfahrung macht klug. Die Patientin hat sich übrigens nicht mehr bei mir gemeldet. Vielleicht hat sie nicht überlebt. Oder ich war aufgrund der erzwungenen Intimitäten nicht ihr Typ.

[zur Inhaltsübersicht]
    Kapitel 7 Wasserspiele in der Nacht
    Wenn keiner weiterweiß, holt man die Feuerwehr. Die Jungs kommen dann mit einem ganzen Fundus an Gerätschaften für die verschiedensten Fälle, vom Pflaster bis zur Tierfangschlinge, vom Schraubendreher bis zur Rettungsschere. Fast alle Kollegen sind Handwerker, denen immer etwas einfällt. Und so geschieht es, dass diese omnipotente Truppe hin und wieder zu Notfällen gerufen wird, die eigentlich keine sind: verstopfte Abflüsse zum Beispiel oder das winterliche Abschlagen von Eiszapfen, die mit einem Besenstiel aus dem Fenster unterhalb der Traufe zu erreichen wären. Beliebt ist ebenso das bereits beschriebene Umsetzen von Wildtieren, die sich zwischen den Menschen in der Stadt ihren Lebensraum gesucht haben (deshalb heißen sie ja «Kulturfolger»). Nicht minder gehört das Einsammeln von Abfall wie Ölkanistern unter Straßenbäumen oder das Bergen von Sperrmüll aus einem Bach zu den «Hilfeersuchen des mündigen Bürgers», genauso wie das nach jedem

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