112 - Der tägliche Wahnsinn
schlechten Wetter obligatorische Räumen der Gehwege von herabgefallenen Zweigen mit einem Durchmesser von etwa zehn Zentimetern sowie das Säubern der Regeneinläufe von Laub. Aber da gab es auch die Sache mit der Kerze im Schaufenster.
Es war in der Adventszeit, ausnahmsweise nicht während, sondern kurz nach dem Abendessen, als wir für unser Löschfahrzeug einen Einsatz zugeteilt bekamen. Die Leitstelle rief über die Direktleitung an: «Fahrt doch bitte mal zum Geschenkeladen ‹Stöberkiste› in der Fußgängerzone. Dort sollen Kerzen im Schaufenster brennen.»
«Na und? Wir haben bald Weihnachten. Da brennen doch überall Kerzen», antwortete unser Wachführer verständnislos.
«Sicher, da hast du schon recht. Aber der Anrufer erzählte, dass der Laden schon geschlossen hat. Und irgendetwas davon, dass die Dekoration schon verrußt ist. Fahrt mal hin und seht euch das an.»
Steffen, Kevin, unser «Anstaltsleiter» und ich besetzten also das Löschfahrzeug und fuhren gemütlich und ohne Alarm durch den vorweihnachtlichen Geschenkeeinkaufsverkehr, bis in die Fußgängerzone hinein, in der unsere Einsatzstelle liegen sollte.
Als wir an dem Gebäude, in dem mehrere Geschäfte untergebracht waren, ankamen, stand im Schaufenster der «Stöberkiste» tatsächlich ein großes Windlicht mit einer dicken brennenden Stumpenkerze darin, die der Besitzer oder die Besitzerin des Ladens wohl zu löschen vergessen hatte. Gefühlte fünf Liter passten in diesen Glasbehälter, dessen Ränder wirklich etwas rußig waren. Auch einige Teelichter waren in der Dekoration aufgebaut, mangels Masse aber bereits erloschen. Nur das riesige Windlicht stand im Fenster und leuchtete gleichsam gedankenverloren vor sich hin. Die doppelflügelige Glastür des Geschäfts war verschlossen, im Laden kein Personal zu entdecken. Die Passanten, die sich inzwischen um uns versammelt hatten, erwarteten jetzt natürlich eine aufregende Aktion von uns.
«Sollen wir das Schloss an der Tür knacken?», fragte Kevin.
«Nein, lass mal», bremste ihn der Chef. «Das ist kein Standardschloss, das bekommen wir nicht ohne Weiteres auf. Am Ende zerspringt bei einem Versuch noch die ganze Glastür. Um eine Kerze auszupusten, wäre das wohl etwas übertrieben.» Es war ihm anzusehen, dass er überhaupt nicht auf Action aus war, sondern lieber wieder gemütlich in unserer Wache gesessen hätte. «Aber vielleicht bekommen wir es hin, zeitnah einen Schlüssel zu ergattern», fuhr er fort. «Dort unten an der Tür stehen einige Telefonnummern. Wir können ja nicht wegen der einen Kerze den ganzen Laden in Schutt und Asche legen.»
Danach bat der Wachführer über Funk die Leitstelle, die erste der auf die Ladentür geklebten Telefonnummern zu kontaktieren. Unter der Nummer der «Inhaber» teilte uns die Leitstelle zwei Minuten später mit, hätte sich nur ein Anrufbeantworter gemeldet. War wohl nichts mit dem Versuch.
«Was ist denn mit der Nummer darunter?» Steffen zog sein privates Handy aus der Tasche und wählte sie. Doch die freundliche Stimme am anderen Ende der Leitung konnte uns auch nicht weiterhelfen: «Guten Abend, Sie sind hier in der Zentrale der Ladenkette ‹Stöberkiste› … Nein, tut mir leid, wem die betreffende Filiale jetzt gehört, weiß ich auch nicht genau. Der Inhaber hat kürzlich gewechselt. Steht denn da keine Telefonnummer an der Tür?» Auch der zweite Versuch endete in einer Sackgasse.
Also wählten wir die nächste Nummer, die wir an der Glastür fanden. Es meldete sich ein Sicherheitsdienst: «Nö, wir betreuen das Objekt schon länger nicht mehr.» Dritter Versuch, kein Treffer.
Es fand sich auf einem weiteren Aufkleber noch eine vierte Telefonnummer, ebenfalls ein Sicherheitsdienst, wie sich schnell herausstellte, jedoch einer mit besonderer Befugnis: «Wir haben keinen Schlüssel für das Objekt. Wir sollen bei Alarm nur die Polizei und den Inhaber verständigen. Ich habe da die Nummer des Inhabers. Soll ich mal anrufen?»
«Nein, danke. Das haben wir auch schon probiert.»
Unsere Hoffnung, jemanden mit einem Schlüssel für das Geschäft zu erreichen, zerbröselte nach und nach wie trockenes Spekulatius-Gebäck. Es gab noch eine letzte Telefonnummer, die wir testeten. Wieder schaltete sich ein Anrufbeantworter ein: «Willkommen bei Türen-Paul, Sie rufen außerhalb der Geschäftszeiten an …» Fehlversuch: Das war nur die Firma, die so viele Türen hat, dass sie sie schon verkaufen müssen.
«So ’n Mist! Fünf
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