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112 - Der tägliche Wahnsinn

112 - Der tägliche Wahnsinn

Titel: 112 - Der tägliche Wahnsinn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingo Behring
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anscheinend überhaupt kein Interesse daran, wenn die Feuerwehr in der Nachbarschaft unterwegs ist. Das ist grundsätzlich nicht weiter von erwähnenswerter Bedeutung. Publikum haben wir schließlich häufig mehr als genug. Wenn die Menschen jedoch so gut wie keine Aufmerksamkeit zeigen, obwohl wir einen Einsatz in ihrer Wohnung haben, zählen sie schon zu einer bemerkenswert seltenen Spezies. So bekamen wir einmal von unserer Leitstelle einen Einsatzauftrag in einer Wohnstraße. Ein Mieter aus dem Haus mit der Nummer 23 hatte gemeldet, Wasser würde aus einer benachbarten Wohnung in das Treppenhaus dringen.
    Der Arbeitseinsatz – so werden die Einsätze bezeichnet, zu denen wir ohne Alarm fahren, weil sie keine zeitkritischen Notfälle sind – kam gegen Abend und, wie so häufig, kurz nach Steffens Ruf, er habe das Essen fertig zubereitet. Steffen war ja derjenige in der Wachmannschaft, der am besten kochen konnte. Hatte er Urlaub, konnte sich der Chef des von uns bevorzugten Pizza-Lieferservices vom zusätzlichen Verdienst wahrscheinlich ein neues Auto leisten.
    «Mensch, Leute, ich koche nie wieder Nudeln. Die sind doch total klietschig, wenn wir zurück sind», jammerte Steffen.
    «Dann mach nächstes Mal was mit Kartoffeln. Du weißt ja, wie das hier läuft», witzelte ich zurück, während wir in die Fahrzeughalle gingen. Unserem Wachführer ging das «Klarmachen zum Ausrücken» nicht schnell genug. «Wo ist denn der Maschinist?», rief er. «Hat der die Durchsage nicht mitbekommen?»
    Steffen grinste: «Öhm, ich glaube, der Kevin sitzt gerade auf dem Boiler …»
    So dauerte es noch etwa eine halbe Minute, bis die Tür zur Fahrzeughalle aufging und ein erleichterter Maschinist auf das Fahrzeug kletterte. Der Chef blickte missmutig zu ihm hinüber. Kevin meinte lapidar: «Was denn? Arbeitseinsatz war doch die Durchsage. Oder habe ich das verkehrt gehört?»
    «Hättest ruhig ein bisschen hinmachen können», maulte unser Anstaltsleiter.
    «Hab ich doch», sagte Kevin trotzig, während er losfuhr, aber nur halblaut und von daher kaum zu verstehen.
    Als wir nach ein paar Minuten und zwei Stadtteilen weiter vor einem Nachkriegswohnblock eintrafen, konnte ich schon beim Anhalten erkennen, dass vom Türsturz über dem Eingang Wasser auf den Gehweg tropfte. Bei näherem Hinsehen war auszumachen, dass dort schaumige, wohlriechende Wasserperlen hingen. Steffen, unser Wachführer und ich stiegen aus, um herauszufinden, was wir tun konnten. Kevin blieb am Fahrzeug, um Rückmeldungen zu geben und notfalls Geräte wie bestimmte Werkzeuge oder den Wassersauger für den Einsatz vorzubereiten.
    Im Treppenhaus wurden wir sehnsüchtig von einer etwas voluminösen Hausfrau im bunten Kittel erwartet; sie schlurfte in ausgelatschten Pantoffeln auf uns zu.
    «Das kommt bestimmt vonne Frau da außem Ersten!», begrüßte sie uns. «Wir ham geklingelt und gebollert, aber die sture Kuh macht nicht auf!»
    Wir grinsten uns an. «Das kann ja heiter werden, wenn die Dame schon so gut gelaunt ist», raunte ich Steffen zu.
    Während sich unser Anstaltsleiter den zwischenmenschlichen Ärger, der sich seit der Kubakrise in diesem Wohnhaus angestaut hatte, anhörte, stieg ich mit Steffen die Treppen hinauf, um im ersten Stock nachzuschauen. Dort angekommen, steckte die Nachbarin der vermuteten Verursacherin schüchtern ihren Kopf durch die Tür.
    «Wir haben schon seit Stunden geläutet und geklopft», erklärte sie. «Die Frau macht nicht auf. Sie ist aber zu Hause, bestimmt! Man hört sie zwischendurch immer wieder.»
    «Na, dann wollen wir doch mal gucken, ob das stimmt», sagte ich erwartungsvoll, bevor ich selbst versuchte, mir vor der besagten Wohnung Gehör zu verschaffen.
    Jetzt muss man sich vorstellen: Feuerwehrmänner klingeln nicht einfach so wie ein Postillion. Weil oft «Gefahr im Verzug» ist, wenn wir um Einlass bitten, haben wir uns dieses «Blümchen-Anpingeln» abgewöhnt. Gerüchten zufolge soll es ja Kollegen geben, die einen Zahnstocher zum Festklemmen des Klingelknopfs in der Tasche haben. Ich zähle nicht zu ihnen. So klingelte ich zuerst etwa fünf Sekunden lang Sturm, um dann mit der Faust die Tür im Rahmen wenig diskret dröhnen zu lassen, begleitet von der höflichen Ansage: «Feuerwehr! Hey! Hallo! Machen Sie mal auf!»
,
sodass der Kopf der schüchternen Nachbarin wie der einer Schildkröte augenblicklich zwischen den Schultern versank. Gerade wollte ich nach etwa zehn Sekunden Wartezeit (das musste reichen,

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