112 - Der tägliche Wahnsinn
damit nach Hause, holen für Ihren Hans die braune Hose, die hinter der Tür hängt, nehmen dasselbe Taxi wieder zurück und bringen Ihrem Mann die Buchse. Einen Wohnungsschlüssel haben Sie hoffentlich.»
«Wie soll ich denn ein Taxi bestellen? Ich habe doch gar kein Handy.» Die Dame war sicher auch so sehr kompliziert, aber im Augenblick befand sie sich in einer mentalen Sackgasse ohne Wendemöglichkeit.
«Der Kellner wird Ihnen bestimmt eines rufen, wenn Sie ihn darum bitten.» Ich atmete tief durch. «Ach was, ich werde das für Sie übernehmen.»
Der verhinderte Ehemann sah sichtlich erlöst aus. Endlich war jemand da, der die Sache voranbrachte. Die Bedenken der aufgelösten Dame, ob das Taxi noch da sei, wenn sie mit der Hose über dem Arm wieder aus der Wohnung käme, konnte ich dennoch nicht ganz zerstreuen. «Glauben Sie mir bitte, wenn Sie dem Taxifahrer sagen, dass Sie sofort wieder zurückfahren wollen, wird der warten. Er verdient doch schließlich sein Geld damit.»
«Und wenn der dann trotzdem weg ist?»
Manchmal ist mein Beruf etwas anstrengend, sosehr ich ihn auch liebe. Man trifft öfter als vermutet auf Menschen, die in Stresssituationen unfähig sind, sich auch nur die Schuhe zuzubinden. Die einfachsten Vorgänge werden dann zum unüberwindbaren Problem.
Da dieser «Notfall» tatsächlich nichts für die klinische Maximalversorgung im Schockraum war, bestellte ich über den Kellner, der heilfroh war, dass sich die Lage im Keller zu klären begann, ein Taxi. Zusammen mit der durch meinen endlosen Zuspruch etwas sicherer gewordenen Dame warteten wir hinter dem Eiscafé auf den cremefarbenen Wagen. Dieter fragte, ob wir unseren Rettungswagen nicht wieder bei der Leitstelle frei melden sollten, schließlich gab es bei dem Einsatz niemanden zu transportieren. Ich aber gab zu bedenken: «Wenn du die Ehefrau jetzt alleine lässt, traut sie sich nicht mehr, ohne ihren Mann in die Droschke zu steigen. Und dann stehen wir in ein paar Minuten wieder hier.» Das leuchtete auch Dieter ein. Als das Taxi eintraf, nordete ich den Fahrer ein, die Frau samt Hose wieder zurückzubringen: «Bitte versichern Sie ihr auch noch mal, dass Sie vor der Haustür auf sie warten werden. Die ist völlig durch den Wind. Ach, und falls sie sich nicht mehr sicher ist: Die Hose, die sie holen soll, hängt hinter der Schlafzimmertür.» Mit dieser Ansage kannte sich selbst der Taxifahrer im Schlafzimmer des Seniorenpärchens aus.
Da wir keinen Folgenotruf zum Öffnen einer Wohnungstür bekamen, ging ich davon aus, dass die Frau all ihrer Überforderung zum Trotz zumindest ihren Hausschlüssel gefunden hatte und die Hose glücklich zu ihrem Mann bringen konnte. Vielleicht hätte ich ihr noch die Anweisung mit auf den Weg geben sollen, eine Plastiktüte mitzubringen, denn von selbst war sie bestimmt nicht auf diesen Einfall kommen. Ich stellte es mir nicht als sehr angenehm vor, mit der vollgekleisterten Hose über dem Arm durch die Fußgängerzone zu wandern – und noch weniger, mit der geruchsintensiven Kleidung ein weiteres Mal ein Taxi zu besteigen. Ich hoffe, sie hat dem Besitzer oder wenigstens dem Kellner des Eiscafés ein gutes Trinkgeld für die desolate Toilette und die Atmosphäre in seinem Laden überlassen.
«Puh», stöhnte Dieter auf dem Rückweg, nachdem unser Einsatz beendet war. «Mit der Tante war ja überhaupt nichts anzufangen. Stell dir vor, da passiert wirklich mal was, da vergisst die doch das Atmen und fällt tot um. Da fange ich doch glatt an, Büroarbeit zu mögen. Die stinkt zumindest nicht so.»
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Kapitel 9 Von Badenixen und Heimwerkern
Sah ich früher irgendwo Autos der Feuerwehr, war ich natürlich sofort zur Stelle, um zu erfahren, was denn da so los sei. Nicht von ungefähr wurde ich Feuerwehrmann. Das neugierige Verhalten von damals kann man also getrost als zukünftiges berufliches Engagement gelten lassen. Jetzt kenne ich die Probleme mit im Weg stehenden Schaulustigen aber auch von der anderen Seite. Nicht erst seit der Kerzengeschichte. Wobei das Zusehen aus der Entfernung alleine nicht so schlimm wäre. Aber wenn ich erst einige Menschen beiseiteschieben muss, um die Pumpe im Feuerwehrwagen bedienen zu können, oder sie mich beim Rollen der Schläuche behindern, ist das schon sehr nervig. Zudem begeben sich einige Zaungäste beim Eindringen in unseren Arbeitsbereich in Gefahr. Nicht umsonst sperren wir oft weiträumig ab.
Einige Bürger haben hingegen
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