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112 - Der tägliche Wahnsinn

112 - Der tägliche Wahnsinn

Titel: 112 - Der tägliche Wahnsinn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingo Behring
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geklingelt. Laut unserem Piepser sollten wir zu einer Kneipe fahren, die hauptsächlich von Afrikanern und den von ihnen bevorzugten Frauen besucht wurde. Das Schönheitsideal der männlichen Gäste schien ein etwas anderes zu sein als das von westlichen Geschlechtsgenossen: Statt Hungerhaken bevorzugten sie fülligere Begleiterinnen. So versammelten sich in besagter Bar gerade an den Wochenenden nicht nur Afrikaner der umliegenden Viertel, sondern auch ein Haufen «Pfundsweiber». Man verstand sich prächtig.
    Laut der Meldung hatte es dort aber gerade eine kleine Schlägerei gegeben, und wir sollten nun einen der Verlierer abholen.
    «Hoffentlich ist die Polizei schon da, wenn wir ankommen», meinte Kevin, der sich die Augen rieb, während ich das Alarmschreiben aus dem Drucker holte. «Ich habe keinen Bock, zwischen die Fronten zu geraten.»
    Ich war ganz seiner Meinung. Denn im Gegensatz zu früher, als Rettungsdienstler mit Respekt behandelt wurden und alle Beteiligten akzeptierten, dass wir die übrig gebliebenen Schlachtteilnehmer nach einer Auseinandersetzung vollkommen unparteiisch versorgten, wird man heute oft als Gegner betrachtet, wenn man einem Verletzten hilft. «Ey, lasst den da liegen! Die Sau braucht keine Hilfe!» ist noch ein recht harmloser Spruch, der uns häufig hinterhergerufen wird. Kritischer wird es, wenn eine der Streitparteien meint, die Sache sei noch nicht ausgestanden. Plötzlich steht man dann mit seiner roten Rettungsdienstjacke zwischen einer Gruppe gewaltbereiter Kontrahenten, die dampfend vor Aggressionen auch handgreiflich werden, weil sich der Sanitäter, der eigentlich nur helfen will, vermeintlich auf die Seite des Feindes stellt.
    Dieses Mal konnte ich Kevin aber beruhigen: «Die Meldung kam laut Alarmschreiben von der Polizei. Ich denke, die werden auf uns warten. Übrigens sind noch zwei andere Rettungswagen unterwegs, da war wohl ordentlich was los.»
    Als wir in die Straße einbogen, in der sich die Gaststätte befand, sahen wir die Blaulichter von drei Streifenwagen blitzen. Die Fahrbahn war voll mit Polizisten und Kneipengästen, die aufgeregt miteinander diskutierten. Die Beamten versuchten, die Beteiligten von den Zeugen zu trennen, und nahmen die ersten Personalien auf. Als wir ausstiegen, winkte uns ein Herr der ordnenden Zunft zu sich herüber. Vor ihm stand ein Mann, geschätzte ein Meter achtzig groß, Schultern wie ein Boxer. Sein Gesicht war blutüberströmt. Der Polizist erklärte, was zu tun war: «Der Verletzte hier sagt, er habe einen Stuhl an den Kopf bekommen. Und da drüben steht die Wirtin, die angeblich von einer Flasche getroffen wurde. Die solltet ihr euch auch mal ansehen. Auf der anderen Straßenseite sind noch ein, zwei Leichtverletzte mit Platzwunden und Schnittverletzungen. Natürlich gibt es hier niemanden, der an der Schlägerei beteiligt gewesen sein will. Man kennt das ja …»
    In der Tat bleiben solche Streitigkeiten von den Anwesenden angeblich völlig unbeobachtet, es hat auch nie jemand selbst Hand an einen anderen gelegt, und alle Verletzten sind nur Opfer, die zufällig «einen mitbekommen haben». Man bleibt eben gern unter sich. Und so war auch bei dieser Auseinandersetzung völlig unklar, wer hier wem den Frack ausgestaubt hatte.
    «Bring den Mann schon mal ins Auto und kümmere dich um ihn, ich schaue nach der Wirtin», rief ich Kevin zu.
    Er nickte, nahm den etwa dreißig Jahre alten Afrikaner am Arm und zog mit ihm los. Immer noch trafen Streifenwagen ein, worüber ich sehr froh war, denn bislang war nicht wirklich erkennbar, ob sich beide Parteien ausreichend beruhigt hatten oder ob es womöglich bei einer falschen Bemerkung der Umstehenden wieder rundgehen würde. Auch ein weiterer Rettungswagen hielt jetzt vor der Wirtschaft. Nachdem die Kollegen ausgestiegen waren, bekamen sie von der Polizei die Verletzten der anderen Straßenseite zugeführt.
    Ich drängelte mich durch die Menge der aufgeregt in verschiedenen Sprachen debattierenden Kneipengäste sowie eifrig Personalien aufschreibenden Polizisten. Die Wirtin, eine Frau mit langen blonden Haaren und viel Holz vor der Hütte, hielt sich den Kopf fest.
    «Sie wurden von einer Flasche getroffen?», fragte ich.
    «Ja. Ich habe drinnen die Theke gemacht, und da gab es auf einmal einen Tumult, hinten vor den Spielautomaten», setzte sie mich ins Bild. «Aber bei den vielen Leuten konnte ich nicht sehen, was da genau ablief. Es ging jedoch ziemlich schnell zur Sache, und auf

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