112 - Der tägliche Wahnsinn
einmal flog eine Bierflasche gegen meine Stirn. Hat ganz schön gedröhnt.»
«Eine leere oder eine volle Flasche?», wollte ich weiter wissen, während ich ihre Stirn untersuchte. Eine kleine Prellmarke fand ich dort, aber keine offene Wunde. Die Flasche war demnach in einem für die Wirtin recht günstigen Winkel an den Kopf geprallt.
«Eine leere. Sonst wäre ich wohl umgefallen», meinte sie etwas pikiert. Anscheinend hatte sie schon Erfahrungen mit fliegenden Flaschen gemacht.
«Ist Ihnen schlecht? Haben Sie Sehstörungen?»
«Nein, alles in Ordnung. Ich kann jetzt auch nicht weg. Wissen Sie, ich bin heute alleine in der Kneipe. Wenn hier alles geklärt ist, muss ich den Laden abschließen und aufräumen. Die haben ja ganz schön umgebaut da drin.»
Das Angebot, sie im Krankenhaus einem Arzt vorzustellen, lehnte sie ab. Ich riet ihr, sich bei zunehmenden Beschwerden sofort an die Feuerwehr zu wenden. Manchmal entwickeln sich nach einem Schlag auf den Kopf die Beschwerden erst später.
Anschließend ging ich zurück zum RTW und stieg in den Behandlungsraum ein, in dem Kevin damit beschäftigt war, den Schädel des Patienten zu reinigen, der halb auf Englisch, halb im schlechten Deutsch wie ein Rohrspatz schimpfte: «All Germans are Nazis! Alle schlecht! I’ll kill them all! I will kill all Germans! Töten – alle Deutschen. Verstehen?»
Kevin suchte unter dem großzügig verteilten Blut und den heftig gekringelten Haaren die Wunde. Einen Moment später triumphierte er: «Hab sie! Da, über dem Ohr. Etwa zwei Zentimeter lang.»
Ich begutachtete die Verletzung. Da Kopfplatzwunden immer stark bluten, ist der Anblick für Laien meist ziemlich eindrucksvoll. Diese Wunde war aber nicht sehr dramatisch. Trotzdem muss eine solche Verletzung, wenn die Ränder auseinanderklaffen, genäht oder geklammert werden, da es bei der Heilung sonst zu Entzündungen kommen kann. Und eine ordentliche Näharbeit lässt auch eine viel kleinere Narbe zurück.
«Ja, dann werden wir jetzt mal ins Krankenhaus fahren. We’ll take you to hospital, you understand?», kramte ich mein Schulenglisch heraus. «There you will see a doctor.»
«Yes, yes, no problem. But, wenn komme zuruck, then I mache all Germans kaputt», drohte er, immer noch höchst erregt.
Ich war professionell genug, um zu wissen, dass er mich nicht persönlich meinte, sondern nur seine Aufregung mit ihm durchbrannte. Ich ging nicht weiter darauf ein.
Ein Polizist öffnete in diesem Augenblick die Tür des RTW . «Was ist mit dem?», fragte er. «Nehmt ihr ihn mit?»
«Ja. Der Mann muss genäht werden. Eine kleine Platzwunde. Ich denke aber, dass er sonst in Ordnung ist.»
«Muss er im Krankenhaus bleiben?»
«Nö. Wenn der nicht plötzlich Zeichen einer Gehirnerschütterung entwickelt, ist er in zwei Stunden wieder draußen. Aber die Personalien haben wir noch nicht aufgenommen.» Zweifellos hätte der Beamte als Nächstes danach gefragt, das wusste ich von anderen Gelegenheiten.
«Okay, dann kommen wir in die Notaufnahme, sobald wir hier fertig sind.» Damit warf er die Tür wieder ins Schloss.
Kevin deckte die Platzwunde des Patienten, die kaum noch blutete, steril ab, bevor er nach vorne auf den Fahrersitz umstieg. Er schaute durch das kleine Fenster zwischen Fahrerkabine und Patientenraum, wo ich das Rettungsdienstprotokoll aus der Schreibmappe fingerte. «Einmal St. Ansgar?», riet er das Ziel unserer Fahrt. Ich nickte nur, und Kevin fuhr los.
Auf dem Weg ins Krankenhaus gab mir der Mann seine Aufenthaltserlaubnis, von der ich seine Daten abschreiben konnte. Währenddessen fluchte er weiter: «Fuck Germans! Werde alle tot machen! All Germans are Nazis! Wenn komme aus Hospital, I’ll kill them all!»
Da ich immer noch nicht wusste, was überhaupt passiert war, und bisher lediglich das Ergebnis kannte, fragte ich ihn, wieso man sich in der Kneipe denn so intensiv die Jacken ausgestaubt hatte. In seinem Sprach-Mischmasch versuchte er mir die Sache zu erklären: «Weißt du, in Kneipe gekommen three Nazis, you know? Drei Mann, ohne Haare, ganze nackt an Kopf. Haben angefangen meine Freunde zu schlagen, mit bottles. Ich verspreche, wenn komme aus Hospital, ich werde kill all Germans!»
Natürlich. Da ist eine Bude rumsvoll mit Afrikanern, alle gut bei Laune, die Hälfte von ihnen mit einem Kreuz wie ein Wandschrank. Und dann kommen drei Glatzen in die Kneipe, von der sie genau wissen, dass sie dort garantiert nicht auf den Rest ihrer Wehrsportgruppe
Weitere Kostenlose Bücher