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112 - Der tägliche Wahnsinn

112 - Der tägliche Wahnsinn

Titel: 112 - Der tägliche Wahnsinn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingo Behring
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treffen, und brechen einen Streit vom Zaun. Und das sollte ich unserem Patienten abnehmen? So bescheuert waren doch nicht einmal Neonazis! Na ja, das alles ging mich sowieso nichts an.
    Nun versuchte ich, den Mann mit der blühenden Phantasie auf den Boden der Tatsachen zurückzuholen, denn an einen Overkill, wie er ihn androhte, mochte ich noch weniger glauben: «Sie wollen alle töten? Mich auch? I’m a German, too. You want to kill me? Ich helfe Ihnen doch!»
    «No, du gut. Bist Freund. No killing. Aber all Germans mache ich kaputt, wenn komme später! Believe me!» Dann interessierte er sich nach so viel Imponiergehabe doch noch für das, was ihm bevorstehen würde. «Warum fahren Hospital? Was machen?»
    «Da wird ein Arzt nach Ihrer Wunde sehen. A doctor will care for your head. Die Wunde muss wahrscheinlich genäht werden.»
    «A doctor? Why?»
    Ich überlegte. Anscheinend hatte er die Sache mit der Wundversorgung nicht recht verstanden. Aber was hieß «nähen» auf Englisch? Es wollte mir nicht einfallen. Nähen … nähen … Ich kam nicht darauf.
    Der Patient beugte sich interessiert vor. «What will he do?»
    «He will care for your, äh, wounded head. And he will … äh … nähen, one or two … ähm … Pieks.» Dabei machte ich auf der Hand Nähbewegungen, in der Hoffnung, er begriffe auf diese Weise, was ich meinte.
    Als hätte ich ihn geohrfeigt, flog sein Oberkörper plötzlich zurück in den Sitz. Zunächst starrte er mich einen Moment lang mit offenem Mund an, dann schüttelte er heftig seine voluminöse Frisur. Aufgeregt signalisierte er mir unmissverständlich seine Ablehnung: «What? Stitching? No way, man! Nein, nein, nein! No stitching!»
    Ach ja, da war das Wort, das mir partout nicht eingefallen war: stitching! Natürlich! Zufrieden, dass der Afrikaner mich jetzt verstanden und ich wieder etwas gelernt hatte, lehnte ich mich zurück und füllte das Protokoll weiter aus. «Aber sicher. Ist keine große Sache. No big thing, you understand? Just two little stitches, zweimal Pieks, and the Sache ist okay. Calm down.»
    Aber er ließ sich nicht so einfach beruhigen. Alle Nazis waren vergessen und der geplante Amoklauf verschoben. Er war entsetzt. «No! No stitching! No way. Ich gehen. Please, let me out. Kann ohne stitching. I want to go home.»
    Jetzt musste ich mir doch das Lachen verkneifen. Eben noch tobte der Mann vor Wut, wollte alle Deutschen umbringen, war der große Zampano, der mal richtig aufräumt in dieser schlechten Welt. Und dann hörte er, ein Kerl wie ein Baum, dass er zwei kleine Stiche zur Wundversorgung bekommen soll, die schon mancher Fünfjährige tapfer erträgt, und will zur Mutti. Herrlich, dieser Sinneswandel!
    Ich ließ Kevin natürlich nicht anhalten, sondern plauderte mit dem Verwundeten, um ihn davon zu überzeugen, dass so ein paar Stiche keine lebensbedrohliche Operation seien, dass er womöglich nicht einmal etwas spüren würde und in zwei Stunden alles vorbei wäre. Dass ich ihm dabei nicht die Hand streichelte, war fast schon verwunderlich. Stattdessen füllte ich betont gelangweilt und wie nebenbei mein Protokoll weiter aus, um ihm zu zeigen, dass ich seine Verletzung auch wirklich als Kleinigkeit einstufte. Gott sei Dank ließ er sich davon etwas beruhigen. Dennoch blieb er weiterhin höchst skeptisch, was er immer wieder zum Ausdruck brachte.
    Im Krankenhaus lieferten Kevin und ich den Patienten der aufnehmenden Krankenschwester aus, natürlich nicht, ohne sie von seinem wütenden Gebaren einerseits und der schon fast bemitleidenswerten Angst vor dem Nähen andererseits zu unterrichten. Als wir die Ambulanz verließen, hörte ich sie noch belustigt zum Patienten sagen, der im Behandlungsraum Platz genommen hatte: «Und gleich stitching, okay?»
    Ja, sie ließ ihre Patienten gern schwitzen …

[zur Inhaltsübersicht]
    Kapitel 22 Bandenkriege im Hinterhof
    Wir hatten gerade die Schicht auf der Rettungswache am Krankenhaus übernommen und beschäftigten uns mit der Fahrzeugübernahme: Kevin putzte den Patientenraum mit einer Desinfektionslösung, ich kontrollierte die medizinischen Gerätschaften auf ihre Funktionsfähigkeit und füllte Verbrauchsmaterialien wie Spritzen und Sauerstoffmasken auf. Wir waren fast fertig, da spuckte der Alarmdrucker einen Zettel aus, gleichzeitig klingelten unsere Pager. « HP im Hinterhof. Apothekengasse», stand auf unserer Depesche.
    «Na ja, das kann alles und nichts sein», meinte ich «Dass denen in der Leitstelle nicht

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