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112 - Der tägliche Wahnsinn

112 - Der tägliche Wahnsinn

Titel: 112 - Der tägliche Wahnsinn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingo Behring
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Schnee ins Auto.» So etwas nennt man «Tragehilfe». In einem engen Wohngebiet, in dem die Straßen und Wege schlecht geräumt waren, musste ein Mann mit Verdacht auf Herzinfarkt ins Krankenhaus. Liegend, damit er sich und sein Herz nicht weiter anstrengte. Und da die Trage, auf der er lag, sehr kleine Räder hatte, wurden Schnee und Eisklumpen auf den Wegen zum Problem. Nach beherztem Zufassen mit vereinten Kräften lag dann auch dieser Patient im Rettungswagen – und das alte Jahr ging zu Ende.
    Die Raketen, die um Mitternacht gezündet wurden, hatten sich für die Bevölkerung zumindest in unserem Viertel nicht gelohnt: Eine halbe Stunde vorher war eine Nebelsuppe aufgezogen, die mich an den Horrorfilm
Nebel des Grauens
erinnerte. Die Raketendinger zischten ab – und verschwanden im Nichts. Von den Sternchen nach dem Puff sah man meist nichts.
    «Und wieder drei Euro im A…», amüsierte ich mich bei jedem Knall, der ohne Effekt blieb.
    Nach dem Neujahrsanstoßen (leider nur mit O-Saft) ging gegen halb eins das Alarmlicht an, der Gong ertönte. Containerbrand? Wohnungsbrand? Oder ein Feuer in einer Lagerhalle, das von uns auch scherzhaft Wasserwerfer- und Brötchenfeuer genannt wird? Etwas, mit dem man jetzt rechnet? Nein, keineswegs: «Achtung, Einsatz für das LF . Schwimmzentrum Elsterweg, dort Chlormelder.» Die Gaswarnanlage der Wasseraufbereitungsanlage hatte angeschlagen. Am anderen Ende der Stadt. Das war jetzt eine längere Anfahrt.
    «Was ist denn mit den dort zuständigen Kräften? Haben die Fünfer einen anderen Einsatz?», fragte Steffen unterwegs den Wachführer.
    «Ja, ich habe eben mit der Leitstelle telefoniert. Die sind bei einem gemeldeten Wohnungsbrand. Aber wir sind trotzdem nicht die Ersten am Einsatzort: Die Vierer sind auch dahin unterwegs.»
    Die vor uns eingetroffenen Kräfte der Wache 4 stellten bei der ersten Erkundung keinen Gasgeruch fest, und aufgrund dieser Diagnose disponierte die Leitstelle uns um: «Brechen Sie Ihre Anfahrt ab und fahren Sie in die Schulstraße, dort ist ein Containerbrand. Mehrere Anrufer haben das bestätigt.»
    «Verstanden. Wir drehen um», quittierte unser Chef. Das Blaulicht blieb an, Kevin wendete das Feuerwehrfahrzeug an der nächsten Kreuzung.
    Nach einigen Minuten trafen wir in der Schulstraße ein und fuhren den gemeldeten Bereich ab.
    «Schon was gesehen?», fragte ich nach vorne.
    «Nö. Nichts. Wurde bestimmt schon von Anwohnern gelöscht …» Der Wachführer und Kevin schauten angestrengt in die nebelige Nacht. Vereinzelt sah man auf der Straße feiernde Menschen, die immer noch nicht ihr Feuerwerk verbrannt hatten. Zerbrochene Flaschen, Massen an Papierfetzen von Böllern und deren Verpackungen, aber kein brennender Container. Von hinten, wo Steffen und ich als Angriffstrupp saßen, konnte man sowieso kaum etwas erkennen.
    Nachdem uns im Vorbeifahren eine Gruppe von Leuten angeschaut hatten, als wären wir vom anderen Stern, hatten sie die glorreiche Idee, uns zuzuwinken, als wir den Bereich noch ein zweites Mal absuchten. Sie hatten nämlich, wie wir nun erfuhren, das Feuer gemeldet. Weiterhin teilten sie uns mit, dass sich der brennende Container auf dem Grundstück befinden würde, vor dem sie standen, hinter einer Trennmauer. Auf dem Grundstück leuchtete hell eine Straßenlaterne, sodass das «Containerleuchten» überstrahlt wurde. Kein Wunder, dass wir das Feuer nicht entdeckt hatten. Der Rauch, der aus dem Container quoll, verschmolz mit dem Nebel: perfekt getarntes Schadenfeuer! Aber der mündige Bürger hilft ja. Wenn auch erst im zweiten Anlauf …
    «Muss wohl unheimlich schwer sein, uns zu zeigen, wo wir hinsollen», ärgerte sich der Wachführer. «Nehmt mal den Schnellangriff vor. Ist anscheinend nichts Wildes.»
    Wir stiegen aus, zogen den Schlauch von der Haspel und machten mit der unerlaubten Abfallverbrennung kurzen Prozess. Noch während wir den Schlauch wieder aufspulten, gab unser Chef über Funk die Meldung: «Container gelöscht. Aufräumarbeiten. In wenigen Minuten wieder einsatzbereit.»
    Die Leitstelle freute sich: «Ja, dann sehen Sie mal zu, dass Sie in die Mühlenstraße kommen. Dort soll auf dem Gehweg Pappe brennen.»
    Unser Vorgesetzter verdrehte die Augen. «Leute, wir haben einen Folgeeinsatz. Kleinbrand. Macht mal hinne!», rief er uns zu. Konnten die Anrufer in solchen Nächten Kleinigkeiten nicht selbst löschen? War es wirklich nur etwas Pappe, konnte das Feuer womöglich schon aus sein, bevor wir dort

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