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112 - Der tägliche Wahnsinn

112 - Der tägliche Wahnsinn

Titel: 112 - Der tägliche Wahnsinn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingo Behring
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eintrafen.
    Nachdem der Schlauch im Auto verstaut war, sprangen wir in die Fahrzeugkabine und fuhren zwei Straßen weiter. Wir waren schnell genug: Dort brannte tatsächlich noch etwas Pappe mitten auf dem Gehweg, etwa in der Größe zweier Pizzakartons.
    «Das ist fast schon eine Frechheit, uns dafür zu rufen», polterte ich.
    «So was haben wir als Rotzige ausgepinkelt», stimmte Steffen mir zu, als er den «Großbrand» sah. Die Messlatte für angebliche «Notfälle», die man nicht alleine bewältigen konnte, war trotz dieser für uns sehr arbeitsreichen Nacht unvermindert niedrig.
    Drei Männer im zeugungsfähigen Alter standen fassungs- und phantasielos neben den müde flackernden Pappresten herum und waren nahezu verärgert, als wir nicht in aller Eile einen Wasserwerfer auf dem gegenüberliegenden Dach positionierten, um eine Riegelstellung zu den angrenzenden Gebäuden aufzubauen, sondern nur leicht lustlos mit den Stiefeln und einer Schaufel Schnee auf den Abfall scharrten.
    «Ja, glauben die denn, dass wir für so einen Mumpitz unseren schönen Schlauch aus dem Auto ziehen?», murrte Steffen beim Stiefelballett. Deutlich zeigten wir damit den entgeisterten Anrufern, dass sie den Kleinbrand auch selbst hätten löschen können. Beleidigt zogen sie von dannen.
    Kurz danach kehrten wir zur Wache zurück. Steffen schaute nachdenklich den Menschen draußen zu, wie sie weiterhin Feuerwerkskörper auf die Straßen warfen: «Soll das jetzt noch die ganze Nacht dauern? Die knallen doch schon den Februarlohn weg.»
    Müde schaute ich zu ihm rüber: «Sei froh, dass es bislang keinen Großbrand gab. Sonst wären wir nonstop im Einsatz gewesen.»
    Um zehn vor eins rückten wir erneut aus: «Fußverletzung bei Strobel, Erna», stand als Einsatzgrund auf dem Alarmschreiben. Alle Rettungswagen waren belegt, mit Schnapsleichen, Schnittverletzten und Sturzopfern. Aus diesem Grund fuhren wir erst einmal alleine los. Der nächste freie Rettungsbomber sollte unser sein.
    «Erna ist bestimmt auf eine Sektflasche getreten», riet einer von uns.
    «Nee, die hat versucht, ’nen Böller wegzukicken.»
    «Oder den Nachbarshund …»
    Der Maschinist kurvte das große Löschfahrzeug durch torkelnde Fußgänger und bengalisches Feuer.
    Bald hatten wir die angegebene Adresse erreicht. Nach dem Klingeln an der Eingangstür eines großen Wohnblocks wurde uns zunächst nicht geöffnet. Bei drei Typen, die in ihren dunklen Jacken wie Schränke aussehen, hätte ich vielleicht auch nicht geöffnet. Wenn ich Erna Strobel gewesen wäre.
    Meine Laune war dennoch nicht die beste: «So dringend kann es ja nicht sein, wenn man uns gar nicht erst in die Wohnung lässt. Womöglich zieht sich die Patientin gerade an und kommt gleich die Treppen runtergesprungen, um ins Krankenhaus gebracht zu werden.»
    Aber stetes Klingeln zeigte irgendwann Wirkung, die Tür ging endlich auf.
    An der Wohnungstür im vierten Stock empfing uns eine Frau um die siebzig. In weißen Socken. Ohne Blut daran. Sie lebte allein in einer aufgeräumten Ältere-Dame-Wohnung mit röhrendem Hirsch, blinkendem Jesus-Herz und geschnitzter Uhr an der Wand.
    «Sind Sie die Patientin? Ich dachte, Sie sind am Fuß verletzt?», fragte Steffen, als wir in ihrem Wohnzimmer standen.
    Sie zeigte auf ihre Schulter. «Schauen chier, tut iimmer wäh, iimmer märr. Muss Krankänchaus», sagte die Frau.
    «Was ist denn passiert? Wo sind Sie denn verletzt?»
    «Schauen Schultärr. Chabe große Schmärzen.» Sie entblößte ihre Schulter, ein Eispack kam zum Vorschein. Zur Demonstration hob sie mit schmerzverzerrter Miene den Arm bis über den Kopf. Wir sahen: keine offene Wunde, keine Fehlstellung der Gelenke oder Knochen. Tolle Fußverletzung!
    «Wie ist denn das passiert?», wiederholte Steffen.
    «Bin gefallen, auf Schuultärr, chat erst nicht wäh gätahn, abär jätzt iiimmer schliiimmärr.»
    Wir schöpften einen Verdacht: «Und wann war das?»
    «Iist gäwääsen um etwa zehn. Choitä Moorrgän. Chat garrnicht Schmäärzen erst. Abär gägän funf chat angäfangän. Jätzt tut säähr wäh. Muss Krankänchaus. Jätzt.»
    Wir waren etwas entsetzt. Mal im Ernst: Da draußen tobte der Mob, der Rettungsdienst war ausgelastet bis zur Grenze, Mülltonnen und Zimmer brannten, und dieser Frau fiel jetzt, etwa fünfzehn Stunden nach dem Sturz, ein, dass die Schulter doch etwas wehtat. Und machte zur Demonstration noch lustig Gymnastik mit dem so schmerzenden Arm? Ein Taxi hätte in diesem Fall

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