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112 - Der tägliche Wahnsinn

112 - Der tägliche Wahnsinn

Titel: 112 - Der tägliche Wahnsinn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingo Behring
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aus dem Drucker war zu entnehmen, dass der Rettungswagen und der Notarzt vom anderen Ende der Stadt kommen mussten. Wir besetzten also das Löschfahrzeug und fuhren mit Alarm los.
    Auf dem Weg zum Adenauerring standen wieder einmal einige Verkehrsteilnehmer wie einbetoniert vor den roten Ampeln und machten uns erst nach zusätzlichem Hupen äußerst widerwillig Platz. «Gehört das Verhalten bei Annäherung von Fahrzeugen mit Sonderrechten heute eigentlich nicht mehr ins Fahrschulprogramm? – Aber wenn sie selbst betroffen sind, dann kann es ihnen nicht schnell genug gehen, bis wir da sind», wetterte Kevin, der in dieser Schicht als Maschinist das Auto fuhr. Immerhin war mit dem Alarmstichwort «Herz» verbunden, dass der Notfall durchaus lebensbedrohlich sein konnte.
    Als wir in unsere Zielstraße einbogen, winkte auf dem Gehweg vor dem Kiosk ein Obdachloser mit speckigen, verschlissenen Klamotten und einem zugewachsenen Gesicht. Wir hielten vor ihm an und stiegen aus.
    Steffen sprach ihn an: «Was ist denn los? Sie haben Herzschmerzen?»
    Der alte Mann nickte heftig, und aus seinem zotteligen Bart heraus hörte man: «Ja, ja, habbich. Der Mann inne Bude hat freundlicherweise den Rettungsdienst gerufen. Iss so inne Brust, weisse. Schlimm, datt …»
    Ich bohrte nach: «Seit wann ist das so? Ist das schon bekannt bei Ihnen?»
    Jetzt geriet er ins Plaudern: «Ja, weisse, datt hab ich schomma dann und wann, so auch wennet so feuchtkalt iss, wie jetzt heute. Ich bin ja nachts auch schomma draußen, ne, also, wennse mich aussen Zuch schmeißen. Sonst penne ich nämlich auch gerne mal im Zuch, die S-Bahn nach Haltern. Am Ende umsteigen und wieder ein Weilchen knacken. Mache ich schon lange. Nur heute geht wahrscheinlich nich, wegen der vielen Partys. Da iss die Bude rumsvoll. Weisse, ich bin nämlich schon acht Jahre auffe Platte. Da lernze so watt. Und da lernze auch datt Trinken. Habe ja heute auch schon bisschen watt reingeschraubt. So ’n paar Zündhütchen aber nur, echt jetzt. Bin aber nicht dicht, verstehsse? So richtig einen einfahren mach ich ja nur nachen Ersten. Wegen die Kohle. Gibt ja nich so viel … Außerdem hat man dann ja schnell Bambule mitti Bullen. Aber nich mit euch, ne, ihr seid okay. Ganz nette Leute seid ihr, echt jetzt …»
    Steffen unterbrach seine Lebensgeschichte: «Ja, und wie geht es Ihnen momentan?»
    «Na ja, Kohle habbich keine mehr, aber watt willze machen. Vielleicht krieg ich später noch watt für ’ne Wurst zusammengeschnorrt. Habe ja noch nix gegessen heute.»
    «Nein, ich meine, mit Ihrem Herzen!»
    Ach, da war ja was. Das fiel ihm jetzt auch wieder ein: «Sicher, sicher! Das brennt da so …» Er deutete irgendwo auf den Unterbauch. «Also, mich iss auch ganz schwindelig, und ich glaube, ich muss brechen, verstehsse?»
    Unser Chef, der sich das Ganze aus dem Löschfahrzeug heraus angehört hatte, gab der Leitstelle eine Rückmeldung, dass der Notarzt nicht erforderlich sei und seine Fahrt abbrechen könne. Uns wurde nämlich langsam die Absicht des «Patienten» klar: Ende Dezember ist es ja nicht mehr muckelig warm wie im Sommer, und unser «Notfall» hatte sich wohl etwas Schöneres vorgestellt, als sich um Mitternacht von angetrunkenen Jugendlichen Böller in die Tasche stecken zu lassen. Also jammerte er dem Kioskbetreiber vor, dass er Schmerzen in der Brust hätte. Silvester im vierten Stock eines Krankenhauses, im warmen Zimmer, einschließlich Mahlzeit und Nasszelle, ist ja was Feines. Und anders als in den öffentlichen Schlafstellen wurde man im Krankenhaus nicht so oft bestohlen.
    Aber wir von der Feuerwehr sind ja auch Menschen. Zumindest ab und zu. Also gaben wir dem Mann den heißen Tipp: «Passen Sie mal auf, wenn der Arzt im Krankenhaus Sie fragt, dann haben Sie einen Druck auf der Brust, so, als wenn da einer draufsitzt. Und stechen tut es auch. Und zwar da, unter dem Brustbein. Die Schmerzen gehen dann so in Richtung linker Schulter, alles klar? Vielleicht bekommen Sie ja auch ein wenig schlecht Luft. Und morgen, wenn die Laborergebnisse da sind, sieht die Welt schon ein bisschen anders aus. Verstanden?»
    Er nickte dankbar: «Ganz feine Jungs seid ihr. Wirklich toll!»
    Als der Rettungswagen eingetroffen war, zog Steffen den Transportführer an die Seite und raunte ihm zu: «Hör mal, der Mann hat nix. Der will einfach heute Nacht sicher im Warmen liegen. Silvester, viele Besoffene unterwegs, verstehst du? Nehmt den mit, lasst ihn aufnehmen, und wenn der

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