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112 - Der tägliche Wahnsinn

112 - Der tägliche Wahnsinn

Titel: 112 - Der tägliche Wahnsinn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingo Behring
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morgen gefrühstückt und sich gewaschen hat, haut der ab. Verspätetes Weihnachtsgeschenk … Verkauft ihn mal schön an die Internisten.»
    Der Kollege nickte, wir stiegen wieder ins LF und fuhren zurück zur Wache. Ob der «eingebildete Patient» im Krankenhaus auch aufgenommen wurde, haben wir nicht mehr erfahren.
    Den Rest des Tages verbrachten wir mit Schneeschaufeln auf dem Wachgelände und einer Besprechung der neuesten Dienstanweisungen. Beides nicht sehr beliebt, aber notwendig. Gegen 17 Uhr wurden wir dann von der Leitstelle rausgeschickt, um einen im Schnee festgefahrenen Krankenwagen zu befreien. Kein Notfall, also nicht eilig, aber nicht weniger notwendig. Bei unserem Eintreffen stapfte uns auf dem eingeschneiten Garagenhof eines Hochhauses der Sanitäter mit einem Satz Schneeketten entgegen, die den Namen nicht verdienten. Dieses filigrane Kleinod in seinen Händen war mit der Last eines Krankenwagenrads offensichtlich überfordert gewesen: Die Kettenstränge baumelten in verschiedenen Längen vom Spannring herunter.
    «Offene Kettenfraktur dritten Grades. Musst du schienen. Eindeutiger Fall», witzelte ich.
    Kevin schaute entgeistert an den zerfledderten Kettensträngen herunter: «Wo hast du diesen Mädchenschmuck denn her? Von Bijou Brigitte? Vom Ständer mit den Fußkettchen?»
    «Nein, die hat mir unsere Werkstatt rausgegeben», erwiderte der Sani verärgert. «Sind nicht soooo toll.»
    Kevin winkte ab: «Da gibt es ja im Kaugummiautomaten bessere …»
    Weiter hinten stand der Krankenwagen, der sich im hohen Schnee festgefahren hatte. Da der Hof abschüssig war, rutschte er bei Befreiungsversuchen immer weiter von der Ausfahrt weg. Hier half nur «Manpower»: Mit vereinten Kräften, etwas Stochern auf den Eisplatten und zwei Kilogramm Ölbindemittel (Salz dauert auf Schnee zu lange, Granulat war aus, aber Ölbinder ist auch klasse) und ein paar Tröpfchen Beamtenschweiß (sehr kostbar!) war die Karre wieder frei.
    Kevin konnte beim Anschieben einen Blick in den leeren Patientenraum des Krankentransporters werfen. Er schwitzte trotz der Kälte. «Habt ihr wenigstens euren Patienten ordentlich durch den Schnee ins Haus bekommen?», fragte er.
    Die beiden Sanitäter schauten etwas irritiert: «Nö, die Patientin wartet noch darauf, dass sie einsteigen kann. Einweisung durch den Hausarzt. Sie steht da drüben.» Sie deuteten zum Hauseingang hinüber, wo tatsächlich eine winzige Person in einem Pelzmantel stand, Strickmütze auf dem Kopf, die Reisetasche neben sich. Freundlich winkte sie und fragte: «Geht’s jetzt los? Können Sie mir bitte mit der Tasche helfen?»
    Kevin, Steffen und ich wechselten ärgerliche Blicke. Es war von den beiden Sanis völlig unnötig gewesen, auf den tief verschneiten Hof zu fahren, da die Dame anscheinend noch sehr gut zu Fuß war. Mit etwas Hilfe hätte sie ohne Probleme zur geräumten Straße gehen können. Missmutig brummte ich: «Den kaputten Schmuck gebt beim Juwelier ab, und danach holt ihr euch ein paar vernünftige Ketten auf der Hauptwache ab. Ach, und das nächste Mal solltet ihr die Anfahrt besser erkunden.» Einsatzende.
    Dann war erst einmal Ruhe. Abgesehen von der Tatsache, dass wir zum Abendessen Chili zubereiten wollten, aber in ganz Nordrhein-Westfalen kein Gehacktes mehr aufzutreiben war und wir stattdessen auf Gulasch mit Nudeln umschwenken mussten, hatten wir eine schöne, beschauliche erste Schichthälfte. Gut, das Gulasch war auch lecker. Nur der Weihnachtsrestlebkuchen, der vorher, nachher und zwischendurch gereicht wurde, verursachte Sodbrennen. Aber wir waren ja nicht zum Vergnügen auf der Wache. Das Essen war dienstlich, und da musste man seine eigenen Befindlichkeiten zurückstellen.
    Abends um kurz vor elf ging es weiter: Hilferuf des Löschzugs Mitte, eine Wohnung sollte brennen. Es seien auch noch Menschen drin! Wir sprangen auf unseren roten Löschbomber, zogen uns, während der Maschinist losfuhr, die Schutzkleidung über und hörten über Funk, dass die ersten eingetroffenen Kräfte schnell Entwarnung gaben. Alles halb so wild, nur ein Kleinbrand. Ein brennendes Weihnachtsgesteck war von den Bewohnern selbst gelöscht worden, eine Person hatte sich dabei eine leichte Rauchvergiftung eingefangen. Wir wurden wieder abbestellt.
    Kurz nachdem wir die Wache erreicht hatten, bekamen wir über Funk den nächsten Marschbefehl: «Fahrt doch bitte in die Eichendorffstraße, da steht ein Rettungswagen und bekommt seinen Patienten nicht durch den

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