Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
112 - Der tägliche Wahnsinn

112 - Der tägliche Wahnsinn

Titel: 112 - Der tägliche Wahnsinn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingo Behring
Vom Netzwerk:
dieser Stelle beenden, oder war alles nur ein dummer Zufall? Hatte ein aufgewühlter, unaufmerksamer Fahrer seinen Tod beabsichtigt, aber auf den Straßenbahnschienen unbeabsichtigt die Kontrolle verloren?
    Wie auch immer: Für seine Eltern, die vielleicht in diesem Moment den zerknitterten, befleckten Abschiedsbrief von einem Polizisten überreicht bekamen, für sie würde sich das Leben ändern. Für sie würde es egal sein, wo ihr Sohn Suizid begangen hatte. Für sie zählte nur eines: Ihr Sohn war tot.

[zur Inhaltsübersicht]
    Kapitel 25 Gynäkologischer Notfall. Oder auch nicht
    Eine allergische Reaktion kann gefährlich sein. Lebensgefährlich sogar. So entwickeln sich nicht nur je nach Reaktion Übelkeit und Hautrötungen, sondern es können auch Schwellungen auftreten, die – wenn sie sich auf die Atemwege erstrecken – bis zum Tod führen können. Andere Allergien beschränken sich auf einen Juckreiz oder einen Ausschlag der Haut und sind eher lästig denn gefährlich.
    Ein wichtiges Unterscheidungsmerkmal zur Einschätzung zwischen «gefährlich» und «harmlos» ist die Zeit, in der sich die Reaktion entwickelt: Treten die Symptome rasch und heftig auf, wie zum Beispiel Schwellungen im Gesicht, ist durchaus der Einsatz des Rettungsdienstes nötig, um den Betroffenen in eine Klinik zu bringen, damit Gegenmaßnahmen eingeleitet werden können. Wer unter einer lebensbedrohlichen Allergie leidet, weiß aber auch meist davon und hat entsprechende Medikamente parat. Sollten sich die Symptome jedoch langsam und über Stunden entwickeln, kann man die Sache beobachten und bei Bedenken einen Hausarzt aufsuchen.
    Frauen, die schwanger sind, sollten bei bekannten gefährlichen Allergien jedoch aufmerksam sein. Ein von uns vorgenommener Rettungswageneinsatz war allerdings eine vorschnelle Reaktion:
    Nachts um halb zwei krakeelte der Melder in die Stille des Ruheraums hinein, in dem Steffen und ich die Matratzen abhorchten. «Gyn. Notfall. Alter Postweg 30 . Pat. im 7 . Monat», stand auf dem Display. «Na, hoffentlich keine Fehlgeburt», entfuhr es mir nach dem Lesen der Meldung.
    Schleunigst liefen mein Kollege und ich zum Rettungswagen und fuhren zur angegebenen Adresse. Das hektisch blinkende Blaulicht wurde von den Straßenschildern zurückgeworfen, und zum Glück hielt uns um diese nachtschlafende Zeit nur wenig Verkehr auf. Still sortierte ich meine Gedanken: Die nächste Gynäkologie war jetzt in welchem Krankenhaus? Falls es eine Blutung sein sollte, würden wir überhaupt etwas tun können – außer die Patientin schnell einpacken und in die Klinik fahren? Wie mochte eine Fehlgeburt aussehen? Musste das abgestoßene Gewebe für Untersuchungen mitgenommen werden? Und warum kam kein Notarzt mit? Laut Alarmschreiben war ein solcher nicht eingeplant. Auf jeden Fall fuhr Steffen recht zügig, um nicht schon bei der Anfahrt die Chancen für das möglicherweise in Lebensgefahr schwebende ungeborene Kind zu vermiesen.
    Die Adresse war ein Wohnheim in Plattenbauweise. Im Flur standen verschiedene Leute gelangweilt herum, vom Sechsjährigen bis zum Greis. Und das um diese Uhrzeit! Da uns keiner ein Stockwerk genannt hatte, klapperten wir alle Etagenflure ab, Steffen mit dem Beatmungsrucksack und dem Koffer für Baby-Notfälle, ich mit dem Notfallkoffer und dem EKG -Gerät, und riefen nach unserer Patientin. In irgendeiner Wohnung musste sie doch stecken
:
«Hallo? Rettungsdienst! Wer hat uns gerufen? Hallo?» Die umstehenden Bewohner grinsten nur verständnislos. Schließlich meldete sich ein junger Mann: «Ich habe angerufen! Wegen meiner Frau.» Steffen war schon etwas ungeduldig geworden: Erst ruft man um Hilfe, ordert hektisch und laut einen Rettungswagen, und dann pflanzt man sich wieder gemütlich vor den Fernseher. Ist anscheinend ein extrem dringender Notfall. Seinem Gesichtsausdruck konnte ich entnehmen, was er dachte.
    Nun erschien auch die Frau in der Apartmenttür. Wir fragten die ungefähr Zwanzigjährige, die sich mit einem kugeligen Bauch unterm Shirt und einem Pfund Damenspachtel im Gesicht zu ihrem nicht sehr wach dreinblickenden Mann gesellte, was denn der Grund für den Notruf sei.
    «Sehen Sie mal, im Gesicht! Hier!», sagte sie und trat einen Schritt auf mich zu.
    «Watt iss’n da?»
    «Ja, hier, sehen Sie nicht? Die Pickel! Ich habe bestimmt eine allergische Reaktion. Und ich bin doch schwanger!»
    Steffen und ich schauten uns etwas irritiert an.
    «Wie jetzt? Worauf sind Sie denn

Weitere Kostenlose Bücher