1128 - Weltraumtitanen
eine Lücke in das Raum-Zeit-Gefüge reißen und die Feldschirmenergie durch sie abfließen lassen. Ich brauche nicht darauf aufmerksam zu machen, wie vergleichsweise hilflos unsere Defensivschirme gegenüber solchen Waffen sind." Ein bitteres Lächeln huschte über sein Gesicht. „Wenn ihr ermessen wollt, wie sehr der Schreck unseren Tsunamisten in die Glieder gefahren ist, dann stellt euch vor, daß dieses Gebilde einen Durchmesser von dreihundert Kilometern hat."
Verstörtes Geraune setzte ein. Julian gab seinen Zuhörern Zeit, seine Darstellung zu verdauen. Dann ließ er ein neues Bild projizieren. Es war unscharf und verwaschen, als sei es weit über die Leistungsfähigkeit des Films hinaus vergrößert worden. Es zeigte ein Objekt, das eine entfernte Ähnlichkeit mit einer altmodischen Fliegerbombe hatte, ein Ei mit zwei spitzen Enden. Die Oberfläche des Eis hatte Auswüchse und Unebenheiten, die sich jedoch infolge der Unscharfe des Bildes nicht identifizieren ließen.
„Von diesen Dingen", sagte Julian, „wimmelt es im Innern des Rhomboids. Sie haben eine Größe von anderthalb Metern und bewegen sich schwebend durch die Hohlräume zwischen den Gittersträngen. Die Hochgeschwindigkeitskameras haben über eintausend solcher Objekte erfaßt. Extrapoliert auf das Gesamtvolumen des Rhomboids muß es ihrer mehrere Millionen geben. Sie sind offenbar robotischer Art."
„Hat man irgendeine Spur der wirklichen Bewohner des Rhomboids gefunden?" meldete sich eine Stimme aus der Gruppe der Anwesenden.
„Es ist eigenartig, daß deine Frage ausgerechnet zu diesem Zeitpunkt kommen sollte", lächelte Julian. „Die Antwort ist nein. Von dem, was wir uns unter den ‚Bewohnern’ des Riesengitters vorstellen, wurde nichts gefunden. Was uns zu der Spekulation veranlaßt, daß womöglich diese Gebilde ..." sein Zeigefinger stach in Richtung der Projektion ... „die Bewohner sind."
„Eine Robotzivilisation?"
„Wir können es nicht ausschließen", sagte Julian.
„Und Vishna? Was weiß man über Vishna?"
„Von Vishna wissen wir genauso wenig wie zuvor. Ich bezweifle, daß sie sich in der Nähe der beiden Strukturen aufhält. Wahrscheinlich bleibt sie im Hintergrund und leitet die Offensive aus der Ferne."
Das Gemurmel aufgeregter Diskussionen setzte ein. Julian projizierte eine Reihe weiterer Aufnahmen, die von den beiden Tsunamis angefertigt worden waren. Eine Computerstimme gab kurze Kommentare. Schließlich öffnete sich der Kreis der Diskutierenden. Ein hochgewachsener Mann trat vor. Julian erkannte den Hanse-Sprecher Timbu Onoakwe.
„Was jetzt, Erster Terraner?" fragte er.
„Wenn du von mir erwartest, daß ich dir eine formelle Strategie vorlege, Timbu", sagte Julian, „dann muß ich dich enttäuschen. Ich habe keine. Der Gegner scheint unüberwindlich. Wir müssen uns darauf verlassen, daß Erde und Mond hinter dem Zeitdamm verborgen bleiben und Vishna sich mit Pseudo-Erde und Pseudo-Mond begnügt."
„Das ist alles?" erkundigte sich der Afrikaner enttäuscht.
„Nicht ganz, Timbu. Ich habe der Kommandantin der Dritten Flotte den Auftrag gegeben, einen Angriff gegen die beiden fremden Gebilde zu fliegen. Es handelt sich um ein Experiment. Wir wollen die Stärke des Gegners prüfen. Aufgrund der Beobachtungen, die wir bisher angestellt haben, halten wir unsere Erfolgsaussichten für gering. An dem Angriff beteiligen sich daher fast ausschließlich Roboteinheiten."
*
Tagtäglich, den Sonntag ausgenommen, kam Yarbro Kullon in die Stadt, um Einkäufe zu tätigen und einen Schwatz mit seinen Freunden zu halten. Das Einkaufen hätte er vom Haus aus besorgen können. Aber er war von der altmodischen Sorte, die sich ein Steak von beiden Seiten ansieht und eine Tomate erst auf ihre Festigkeit prüft, bevor sie sich zum Kauf entschließt. Außerdem - ohne die zwei Tassen Kaffee in Hal’s Emporium wäre der Tag nur halb soviel wert gewesen.
Santee war eine schläfrige Kleinstadt. Die Fernverkehrswege umgingen sie in weitem Bogen. Es gab keine nennenswerte Industrie. Die Einwohnerzahl stagnierte seit Jahrhunderten, und wenn ein Gebäude wegen Baufälligkeit abgerissen werden mußte, dann wurde an seiner Stelle ein neues errichtet, das seinem Vorgänger bis aufs Haar glich. Ein Fremder, der nach Santee kam - was selten genug geschah, sehr zur Befriedigung der Einheimischen - fühlte sich unwillkürlich ins frühe 21. Jahrhundert zurückversetzt.
An diesem Tag hatte Yarbro Stolzes zu berichten. Der
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