1132 - Hexenfalle Bamberg
unter dem Bann der halbnackten Hexe, die auf eine so wissende und seltsame Art und Weise lächelte und nicht daran dachte, ihr Opfer loszulassen.
Ulrike Feind war nicht mehr sie selbst. Sie hörte nur auf die Hexe. Sie beschleunigte auch nicht ihre Schritte und behielt das Tempo bei. Vielleicht konnte sie auch nicht anders. Hier waren die normalen menschlichen Regeln auf den Kopf gestellt worden.
Der Kommissar dachte daran, daß er nicht unter dem Bann der Hexe stand. Er kletterte auf das Dach und war froh über diesen breiten Vorsprung, der von einer kaum wadenhohen Mauer abgegrenzt wurde, die kaum einen Halt bot und mehr eine Zierde war.
Hier oben war es windiger. Der kalte Hauch strich über seinen Kopf. Er schaute nach vorn und sah den Blick der Hexe auf sich gerichtet. »Wie schön, dich hier zu sehen, Herr Kommissar. Das erspart mir Arbeit. Erst sie, dann du!«
»Nein, keiner von uns beiden!«
Sie lachte und winkte Ulrike, die wieder einen Schritt nach vorn ging. Wenn sie noch drei davon tat, hatte sie die Hexe erreicht. Damit war ihr Tod besiegelt.
Uwe Hinz griff ein.
Obwohl er diesmal mit Widerstand rechnen mußte, ließ er sich nicht beirren. Bevor Ulrike die nächsten beiden Schritte zurückgelegt hatte, war er bei ihr. Er packte sie an den Schultern und zerrte sie wuchtig zurück. Sie fiel wie eine steife Holzpuppe gegen ihn, aber das reichte ihm nicht aus. Er drückte sie zur Seite. Der Schwung war so heftig, daß sie zu Boden fiel. Ein erstes Ziel hatte der Kommissar erreicht. Jetzt befand sich niemand mehr zwischen ihm und der Hexe. Mit einer routinierten Bewegung zog er seine Dienstwaffe. Er sah nicht, daß sich Ulrike Feind wieder aufrichtete, was Loretta mit einem Lächeln quittierte.
Sie lächelte auch noch, als Uwe Hinz sie ansprach. »Wollen Sie mich erschießen, Herr Kommissar?«
»Wenn es sein muß, schon.«
Loretta hob die Arme. »Dann kommen Sie her und holen Sie mich!«
Bei ihrer Bewegung war der Umhang noch weiter auseinandergeklafft. Hinz sah ihren fast nackten Körper, doch er ließ sich nicht davon ablenken. Hier ging es um Leben und Tod und nicht um eine Verführung.
»Na, warum sind Sie noch nicht bei mir? Fürchten Sie sich etwa vor einer schönen Frau?«
Hinz versuchte, nicht auf den Körper, sondern in die Augen der Hexe zu sehen. Und dort entdeckte er die Veränderung, die es vor wenigen Sekunden noch nicht gegeben hatte.
Die Augen hatten die Farbe und den menschlichen Ausdruck verloren. Aus irgendwelchen tiefen Pupillenschächten war etwas in die Höhe gestiegen, das er mit einer Glut oder einem allmählich erkalteten Feuer bezeichnete. Und er merkte, daß dieser Ausdruck nicht ohne Einfluß auf ihn blieb.
Ohne daß er es wollte, senkte er seine Hand mit der Waffe, und die Mündung wies jetzt nach unten.
»Ja, Herr Kommissar, das ist gut. Das ist fast perfekt. Wir werden uns gut verstehen, da bin ich mir sicher. Ich werde dir deine Träume erfüllen. Ich bin gar nicht nachtragend. Ja, komm, komm weiter…«
Und er ging.
Er wollte es nicht, aber er ging trotzdem, weil er dem Bann der Augen nicht entwischen konnte. Sie waren so anders geworden, und er empfing aus ihnen die Befehle. Diese Person hatte sein eigenes Denken und Handeln ausgeschaltet. Was er jetzt tat, konnte er selbst nicht mehr beeinflussen.
Loretta Lugner war zufrieden. Ihr Nicken bewies es. Sie streckte Uwe jetzt die Hand entgegen, und sie winkte dabei mit den Fingern, um ihm klar zu machen, daß er nicht stehenbleiben sollte.
Er wollte es auch nicht.
Sein Ziel war die Frau, die er jetzt mit anderen Augen sah, die aber nicht die eigenen waren. Sie mußten ihm, wäre er normal gewesen, fremd vorkommen. Hier war das nicht der Fall. Er fand sie faszinierend und schien sein bisheriges Leben ein für allemal vergessen zu haben. Es gab nur die Lugner.
»Ja, du kannst es. Noch einen Schritt, komm… komm weiter«, lockte sie mit sanfter und zielstrebiger Stimme. »Es geht alles glatt. Du gehörst zu mir…«
Uwe Hinz tat ihr den Gefallen. Dabei fiel ihm nicht auf, daß auch die Hexe einen Schritt nach hinten ging und dabei fast den Rand der Mauer berührte.
»Jetzt schneller, Uwe!«
Er machte einen großen Schritt.
»Und den nächsten!«
»Nein, den nicht mehr!«
***
Ich hatte den Satz gerufen, und ich stand hinter dem Kommissar, aber auch schräg vor ihm, so daß ich beide Personen im Blick hatte.
Um den Dämon brauchte ich mich nicht mehr zu kümmern. Es war trotzdem nicht so glattgelaufen,
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