1132 - Hexenfalle Bamberg
hindern, auch sie umzubringen?
Sie mußte aufgehalten werden. Zumindest für eine kurze Zeit. Etwas wie eine Galgenfrist herausschinden. Sie ablenken und zum Reden bringen. Vielleicht ergab sich dann eine Chance, Hilfe zu holen.
Die Studentin hatte sich nie zuvor in einer derartigen Lage befunden. Es kam einzig und allein auf sie an. Wenn sie das Falsche tat, war alles verloren.
Sie dachte auch nicht mehr daran, sich zurückzuziehen. Da mußte sie durch, und sie wunderte sich, daß sie es schaffte, den rechten Arm zu heben. Es sollte so etwas wie ein Wink sein, den Loretta auch wahrnahm, denn sie drehte ihren Kopf Monika zu.
Die Studentin kam schon mit der ersten Frage direkt zur Sache: »Warum willst du sie töten?«
»Ich muß es tun. Ich werde mir alle jungen Mädchen hier in der Stadt holen. Drei habe ich schon geschafft. Jetzt ist sie an der Reihe und später du…«
»Ich habe dir nichts getan und Ulrike auch nicht.«
»Stimmt, ihr persönlich habt mir nichts getan. Trotzdem werde ich bei meinem Plan bleiben. Ihr seid noch jung. Vielleicht wißt ihr es nicht, aber in dieser Stadt hat man vor einigen Jahrhunderten die angeblichen Hexen grausam verfolgt. Viele unschuldige Frauen sind gestorben, viele junge waren darunter, die gar nicht zu uns gehörten…«
»Wieso zu uns?« Monika war etwas durcheinander.
»Weil ich dazugehöre.«
»Dann bist du eine Hexe?«
»Ja, es gibt sie. Ich gehöre dazu. Ich habe mich dem Teufel verschrieben. Ich heiße Loretta Lugner. Ebenso wie die Frau, die vor mehr als dreihundertfünfzig Jahren im Hexenhaus zu Tode gefoltert worden ist. Auch sie ist noch jung gewesen, und sie hat nichts, aber auch gar nichts getan. Aus Neid hat man sie den Hexenjägern und Folterknechten überlassen, und so kam sie um.«
»Woher weißt du von ihr?«
»Ich habe mich dafür interessiert. Ich spürte einen Drang in mir. Er wurde immer stärker. Eine andere Kraft leitete mich und wies mich darauf hin, was damals mit meiner Urahnin geschah.«
»War es der Teufel?«
Sie lächelte und nickte. »Ja, er hat mich als seine Rächerin ausgesucht. Er ist mir erschienen, und er hat mir bewiesen, daß es mehr auf dieser Welt gibt als nur Mensch zu sein. Ich habe ihn lieben gelernt, und er hat mich geleitet. Er hat mich perfekt gemacht. Er hat mir gezeigt, wie man es schafft, in die Träume der Menschen einzudringen. Man kann mit ihnen machen, was man will. Man kann sie leiten, man kann sie manipulieren, man kann…«
»Sie zur Schlafwandlerin machen, wie?«
»Sehr gut. Wie deine Freundin. Sie wird das vierte Opfer sein, das ich meinem Herrn und Meister widme. Meine Urahnin ist unschuldig gewesen, aber ich bin es nicht mehr. Der Teufel hat mich zu seiner Rächerin gemacht. Er hat diese Stadt mit den vielen Kirchen und den Häusern mit vielen falschen Fassaden schon immer gehaßt. In mir hat er die perfekte Rächerin gefunden. Ich werde heute so reagieren wie die Henker und Folterknechte damals. Ich bin ein Fluch. Der Fluch der Hexen und all der Unschuldigen.«
Monika Hinz hatte alles gehört, doch mit dieser Logik kam sie nicht zurecht. Das war keine Gerechtigkeit. Das war einfach nur die Gerechtigkeit auf den Kopf gestellt, und deshalb flüsterte sie auch:
»Hör auf damit. Du kannst es nicht schaffen. Man hat dich schon einmal gefangen und verurteilt. Und es wird auch ein zweites Mal so geschehen.«
»Nein, das wird es nicht. Ich sorge dafür. Ich habe mich bewußt festnehmen lassen. Ich wollte ihnen endlich gegenüberstehen. Ich wollte es in etwa so erleben, wie auch die Frauen es erlebt haben, die damals getötet wurden. Auch sie haben vor Gericht gestanden und sind zur Schau gestellt worden. Bei mir passierte das gleiche. Nur brachte man mich nicht um. Aber ein Leben lang hinter Kerkermauern zu vegetieren, kommt dem sehr nahe. Aus diesem Grund hasse ich die Menschen hier. Im Prinzip haben sie sich nicht viel verändert. Noch immer verstehen und begreifen sie nicht, aber ich begreife es. Sie sollen büßen, sie sollen weinen, sie sollen Angst haben, wenn ich mir eine nach der anderen hole und der Teufel darüber lacht.«
Monika kam sich wie vereist vor. Sogar im Innern spürte sie die Kälte, und sie hatte Mühe, normal Luft zu holen. Was sie in den letzten Minuten erfahren hatte, war ungeheuerlich, und damit hatte man ihr auch die Lösung des Falls präsentiert.
Nicht ihrem Vater, auch nicht seinem Besucher, den Monika nicht kannte, nein, ihr persönlich waren die Fakten ausgebreitet
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