1134 - Alissas Vater
ein schlechtes Gewissen zu haben. Ich lernte Rudy kennen, wir haben geheiratet und uns eine Existenz aufgebaut.«
»Weiß Ihr Mann von Alissa?« fragte Bill.
»Nein.«
»Warum haben Sie ihm die Tochter vorenthalten?«
»Es hat sich einfach so ergeben, Mr. Sinclair. Ich wollte… nun ja… ich wollte auch einen Abschluß finden, und genau das ist mir gelungen. All die Jahre habe ich in einer relativen Ruhe leben können, bis zu dem Zeitpunkt, als ich wieder etwas von meiner Vergangenheit hörte.«
»Sie meinen Aslan?«
Franca preßte die Lippen zusammen. Sie erschauerte. »Ja, ihn meine ich, Mr. Sinclair. Er hat mich nicht vergessen, und er ist nach London gekommen. Ich habe ihn gesehen. Ich habe ihn auch erkannt, obwohl er jetzt anders aussieht. Er hat mir erklärt, daß er nichts vergessen hat und daß eine Zeit die Wunden nicht automatisch heilt. Er ist bereit, sein Leben, so wie er es sich vorgestellt hat, weiterzuführen. Können Sie das begreifen, Mr. Sinclair? Nach all den Jahren will er so weitermachen?«
»Es ist schwer.«
»Für mich auch«, sagte sie. »Es ist sogar mehr als schwer. Und ich habe mich mit ihm getroffen«, gab sie schließlich zu, wobei sie den Kopf senkte.
»War das am Güterbahnhof?« fragte ich.
Sie nickte heftig. »Er wollte einen einsamen Platz. Ich weiß nicht, wie es ihm gelang, mich zu finden, aber er hat es geschafft. Nach seinem ersten Anruf wurde wieder alles lebendig. Ich wollte auch nicht kneifen, denn er brachte noch Alissa mit ins Spiel und sprach von einer großen Liebe, die er zu seiner Tochter fühlte. Ich… ich… ging darauf ein. Ich habe mich mit ihm getroffen, aber ich war nicht allein. Ich nahm jemand mit.«
Bill wandte sich an Herby Looks. »Das bist du gewesen - oder?«
»Ja, Franca hat mich eingeweiht.«
»Und?«
Looks grinste. »Was heißt hier und? Ich habe mich im Hintergrund gehalten. Franca besorgte mir eine gute Kamera, und da habe ich eben Fotos von ihm geschossen. Als ich ihn sah, glaubte ich an einen Alptraum, denn so etwas konnte einfach nicht wahr sein. Aber es ist wahr gewesen. Du hast die Fotos selbst gesehen. Mir ging die Muffe. Ich wußte nicht, wie ich mich verhalten sollte, und deshalb bin ich zu dir gekommen, Conolly. Ich weiß, daß du immer scharf auf Fälle bist, bei denen andere den Schwanz einziehen. Daß ihr zu zweit kommen würdet, konnte ich nicht ahnen…«
»Damit hat Bill Conolly nichts zu tun«, sagte ich. »Es ist eine andere Geschichte, in der Alissa und ein ihr vertrauter Mönch eine große Rolle spielen.«
Franca fragte: »Weiß das ihr Vater?«
»Nein, es war Father Ignatius.«
»Den kenne ich nicht.«
»Alissa hat ihn in Rom kennengelernt«, erklärte ich. »Vorweg, Franca, Sie können stolz auf Ihre Tochter sein, denn sie ist zu einer sehr schönen, jungen Frau herangereift. Intelligent dazu, denn sie hat studieren können. Sie ist wirklich ungewöhnlich. Eine Person, die sich in der Kunst und der Kirchengeschichte gut auskennt, die auch im Vatikan arbeitete und von vielen Menschen anerkannt wurde. Sie fühlte sich zu Kirchen und Klöstern hingezogen. Sie arbeitete dort und restaurierte, aber sie hat auch erleben müssen, daß ihr Vater Kontakt mit ihr aufnahm, ohne zu wissen, daß es ihr Vater war. Sie bekam Angst und wandte sich an einen ihr vertrauten Menschen, der sie dann mit mir zusammenbrachte. Demnach kenne ich Ihre Tochter.«
Franca hatte mich während meiner Worte mit offenem Mund angeschaut. Schließlich hauchte sie:
»Meine Alissa ist hier in London?«
»Ja:«
»Wie Aslan auch?«
Ich nickte.
»Das kann doch nicht wahr sein«, flüsterte sie. »Sollte das Schicksal eine derartige Wendung genommen haben?«
»Es sieht so aus.«
»Leider ist ihr Vater auch hier«, sagte Bill, »und er setzt alles daran, seine Tochter zu sich zu holen. Sie wissen ja, wie er aussieht. Alissa kann nur Angst vor ihm haben.«
Franca schauderte es. »Das kann ich mir gut vorstellen. Ich habe die Fotos selbst gesehen.«
Ich sprach sie wieder an. »Ich habe Ihre Tochter zum ersten Mal in einem abgestellten Waggon auf dem Güterbahnhof gesehen. Warum sie Father Ignatius, ihren Beschützer, dort hingeführt hat, weiß ich auch nicht. Möglicherweise hat ihr das Aslan übermittelt. Jedenfalls habe ich sie dort gesehen und nicht nur die beiden, sondern auch den Mönch, Alissas Vater.«
»Ja und?«
»Er ist kein Mensch mehr, Franca. Er ist nur noch ein Geschöpf. Ich kann Ihnen nicht sagen, wie er dazu geworden ist, aber
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