1134 - Alissas Vater
das?«
Ich ließ einige Sekunden verstreichen. »Den Grund glaube ich zu kennen, Ignatius. Du kennst jetzt Alissas Vater, aber ich habe vor gut einer halben Stunde auch ihre Mutter kennengelernt und weiß, was zwischen ihr und Alissa damals passiert ist.« In knappen Sätzen weihte ich Ignatius ein.
»Das… das… ist ja unglaublich!«
»Und leider wahr«, sagte ich.
»Was können wir tun?«
Es war eine tolle Frage. Im Moment war ich ratlos. Auch Bill hätte mir nichts sagen können, und ich schaute nachdenklich auf meine Schuhspitzen. »Er hat sie entführt«, sagte ich schließlich, »und er wird sie irgendwo hinschaffen.«
»Das glaube ich auch.«
»Welche Plätze kennt er?«
»Zum Beispiel einen Güterbahnhof.«
»Ja.«
»Sollen wir dorthin fahren und uns treffen, John?«
»Das wäre eine Möglichkeit«, gab ich zu, »von der ich allerdings nicht hundertprozentig überzeugt bin.«
»Sag mir den Grund, John!«
Ich mußte lächeln, und lachte sogar in den Hörer, obwohl die Lage nicht zum Lachen war. »Weißt du, ich habe allmählich den Eindruck, als wollte dieser Aslan das nachholen, was ihm vor fünfundzwanzig Jahren nicht gelang. Gewissermaßen eine Familien-Zusammenführung. Und zu seiner Familie gehört nicht nur die Tochter, sondern auch noch die Mutter. Du weißt, was ich damit meine?«
»Sicher, John, die Frau.«
»Es könnte sein, daß er sie ebenfalls holen will. Und zwar noch in dieser Nacht. Bis zum Tagesanbruch liegen noch einige Stunden Dunkelheit vor uns. Da hat er viel Zeit. Ich könnte mir denken, daß er sie nutzen will.«
»Du bleibst also mit Bill in dem Lokal?«
»Zunächst einmal.«
»Okay, dann fahren wir wieder zum Güterbahnhof. Oft zieht es den Täter ja an den Ort seiner Schandtaten zurück. Außerdem ist Aslan jemand, der sich sehr sicher fühlt. Bleiben wir in telefonischem Kontakt?«
»Das versteht sich.«
»Bis später dann.«
»Und gute Besserung für Suko.«
»Danke, werde ich ihm ausrichten.«
Ich schaltete das Handy aus und ließ es verschwinden.
Um mich herum hatte sich ein Ring des Schweigens gebildet. Bill Conolly schaute mich fragend an.
Er hatte sicherlich einiges von dem Gespräch mitbekommen, doch er stellte keine Frage. Ebenso verhielt sich auch Franca. Sie hielt mit ihren Händen den Handlauf der Theke fest. Ein leichtes Zittern konnte sie nicht vermeiden.
»Ihr habt zugehört?«
»Aber nicht alles begriffen«, sagte Bill.
Ich wandte mich an Franca. »Es tut mir leid, aber Aslan hat Alissa entführt.«
Sie nickte. »Das habe ich aus dem Gespräch herausgehört.«
»Wir wissen nicht, wohin er sie gebracht hat. Er könnte sich wieder den Waggon auf dem Güterbahnhof ausgesucht haben, aber da bin ich skeptisch. Freunde von mir werden ihn unter Beobachtung halten. Das ist momentan sekundär. Leider gibt es noch eine andere Möglichkeit, und die hat mit Ihnen zu tun, Franca.«
»Ich weiß«, sagte sie. »Ja, ich weiß, was Sie meinen.« Ihr Gesicht glich einer Maske. »Er hat sich die Tochter geholt, und jetzt will er auch die Mutter haben.«
»Den Gedanken sollten wir zumindest nicht verlieren.«
Franca schloß für einen Moment die Augen. »Und… bitte… was machen wir jetzt?«
»Warten.«
»Wo?«
»Hier«, sagte ich. »Unsere Freunde werden sich auf dem Güterbahnhof umsehen und Bescheid geben, ob sie etwas entdeckt haben oder nicht. Wir aber bleiben hier.«
Franca schaute zur Deckenleuchte, deren Gerippe mit buntem Stoff bespannt war. »Er hat all die Jahre nichts von sich hören lassen. Er hat sich nie so um sein Kind gekümmert, wie man es sich von einem Vater wünscht. Es war auch nicht möglich, das gebe ich zu. Ich habe in dieser Zeit auch nichts von ihm gehört. Ich habe Aslan nicht vergessen, aber ich habe ihn verdrängt, verstehen Sie? Ich wollte mit ihm einfach nichts zu tun haben. Die Zeit verwischte die Erinnerung an ihn. Und ich will auch jetzt nichts mit ihm zu tun haben. Ich möchte meine Tochter sehen, das schon, aber nicht ihn. Diese… diese… Gestalt des Schreckens. Er ist ja kein Mensch mehr, sondern zu einem Monster geworden. Damit möchte ich keinen Kontakt haben. Bei Alissa ist das etwas anderes. Sie ist meine Tochter, und sie ist auch völlig normal. Das wißt ihr selbst…«
»Ja, Franca«, sagte Bill. »Du hast recht. Nur interessiert Aslan dein Wille nicht, er tut, was er für richtig hält. Das können wir nicht ändern.«
Sie nickte. »Dann muß ich wohl damit rechnen, daß er mich noch heute Nacht
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