114 - Sylphidas Rachegeister
Sie schon mal
einen speisen sehen? «
»Nein, Ich bin kein Müller. Die Killmoulis
geistern besonders in Mühlen herum, treiben allerlei Schabernack, sind immer zu
Unsinn aufgelegt und schaffen Unordnung und Verwirrung. Sie sind wie kleine
Kinder, die nicht wissen, was sie tun .«
»Und Asrais? Was machen die ?«
»Sie sind in erster Linie sehr schön, nackte,
wunderschöne Frauen, die aus dem Wasser kommen. Werden sie gefangen oder trifft
ein Lichtstrahl auf sie, vergehen sie. Von ihnen bleibt dann nichts weiter
übrig als - eine Wasserlache .«
Morna Ulbrandson war wie elektrisiert.
Der Begriff »Wasserlache« weckte ein
bestimmtes Bild in ihr.
»Sie kennen sich gut aus, wenn’s um Geister
und ihre Besonderheiten geht, scheint mir, Mister Reef ?«
»Ich habe mich ein Leben lang damit befaßt,
das ist alles. Was ich darüber in Erfahrung bringen konnte durch mündliche
Berichte, durch Geschriebenes, habe ich mir angeeignet .«
»Könnte es Ihrer Meinung nach auch so etwas
wie - einen > Asrai -Mann< geben ?«
»Wie kommen Sie auf diese Idee, Miß
Ulbrandson? Nein, natürlich nicht. Asrai sind ausschließlich Wasserfeen,
Sylphiden und damit weiblich ... Müssen Sie ja wohl auch, um unsere Phantasie
anzuregen ... Männliche Asrai - das ist das erste, was ich höre .«
»Die Welt der Menschen ändert sich permanent,
Mister Reef«, gab Morna zu bedenken. »Erscheinungsformen wandeln sich.
Mutationen entstehen. Im Tierreich, im Pflanzenreich, bei den Menschen. Warum
sollte es nicht auch - bei den Geistern so sein ?«
»Haben Sie einen bestimmten Grund, so etwas
anzunehmen ?«
»Ja, Mister Reef. Ich glaube schon. Aber das
werde ich Ihnen erzählen, während ich Ihre Bilder betrachte und mich mit Ihnen
über Ihren Urahn Shawn Reef unterhalte. Bei dieser Gelegenheit - entschuldigen
Sie die Offenheit - hätte ich nichts gegen eine heiße Tasse Kaffee einzuwenden.
Hier draußen wird mir’s langsam kalt. Ich schleppe Sie ab, und über alles
Weitere, wie gesagt, sprechen wir dann bei Ihnen zu Hause...«
●
Bevor Reef das
Angebot annahm, ließ er es noch mal auf einen Startversuch ankommen. Der Motor
blieb stumm.
Das Abschleppen ging verhältnismäßig leicht,
und es dauerte nicht lange.
Zwanzig Minuten später erreichten sie das
einsame Haus auf den Klippen, von dem aus ein Blick weit übers Meer möglich
war. Vorausgesetzt, daß gerade kein Nebel herrschte.
Während Morna das Abschleppseil im Kofferraum
verstaute, lief Reef schon ins Haus, um Kaffeewasser aufzusetzen.
Morna sah dem Maler nach.
Er torkelte ein wenig, als hätte er
getrunken.
Aber er hatte nicht nach Alkohol gerochen. Es
mußte um den allgemeinen körperlichen Zustand des Mannes schlecht bestellt
sein.
Was war nur los mit ihm? Er sah aus, als
hätte er Fieber.
Auch bei Henry Flannagan war ein unerklärliches
Fieber ausgebrochen.
Morna Ulbrandson hielt den Maler unbemerkt im
Auge.
Reef war ein zugänglicher Mensch, der offen
über seine Arbeit sprach. Und nicht nur über sie, auch über das, was Morna
Ulbrandson ihn fragte.
Die Schwedin erfuhr, was Andy Reef am Vormittag
erlebt hatte, daß er seinem verschollenen Urahn, der als junger Mensch das Haus
verlassen hatte, nochmals begegnet war.
Dies alles ergab sich beiläufig im Gespräch,
während sie - Tasse und Untertasse in der Hand - von
Bild zu Bild ging, um die geheimnisvolle, von dem Maler dargestellte
Geisterwelt auf sich wirken zu lassen.
Sie mußte zugeben, daß sie fasziniert war.
Sie konnte sich dem Zauber der Bilder nicht
entziehen, denn sie waren etwas Besonderes, von einer Klarheit und
Deutlichkeit, die nichts zu wünschen übrig ließ und Einblick in Bereiche
gewährte, die die meisten Menschen als absurd und ins Reich der Phantasie
abtaten.
Die Geisterwesen, von denen andere erzählten
oder schrieben - bei Andy Reef waren sie farbig und so lebendig dargestellt, daß
der Betrachter den Eindruck erhielt, sie würden im nächsten Moment von der
Leinwand springen.
Jedes Geschöpf war eine eigene kleine
Persönlichkeit, hatte einen Charakter.
»Menschen und Geister«, sinnierte Morna
Ulbrandson beim Betrachten der Bilder, »treffen sich manchmal. Ich habe gehört,
daß Geistwesen sogar oft über einen längeren Zeitraum hinweg bei Menschen
blieben. Wer, Reef, waren Ihre Informanten ?«
»In erster Linie mein Urgroßvater, meine
Großeltern und meine Eltern. Aber das ist nichts Besonderes, Miß Ulbrandson.
Hier in Irland kriegt man das Wissen um die Geisterwelt,
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