1140 - Der Rächer des Engels
wir nicht damit warten.«
»Also noch in der Nacht.«
»Ich wäre dafür.«
Auch Suko stimmte zu. »Dann möchte ich mich zuvor noch ein wenig hinlegen und schlafen.«
»Es sei dir gegönnt.«
»Was hast du vor?«
»Ich schlafe während der Fahrt, weil ich davon ausgehe, dass du das Steuer übernehmen möchtest.«
»Alles klar. Mit mir kann man es ja machen«, beschwerte er sich, aber ich wusste genau, dass er es nicht so ernst meinte. Bevor er meine Wohnung verließ, klopfte er mir noch auf die Schulter und meinte: »Weck mich, wenn es soweit ist.«
»Gern.«
Erst als Suko die Tür hinter sich geschlossen hatte, bewegte ich mich wieder. Ich ging zum Fenster und öffnete es weit, um die frische Luft in die Wohnung zu lassen.
Ich wollte nicht nach McMurdock Ausschau halten, sondern noch einmal über den Fall nachdenken, der bisher für mich noch kein richtiger war. Er musste sich noch entwickeln, das stand fest, aber trotzdem und trotz meiner wenigen Informationen steckte ich im Zentrum. Da war etwas passiert, das in der Vergangenheit wurzelte und jetzt, kurz vor der Jahrtausendwende wieder hervorgeholt wurde.
Das Herz der Jungfrau!
Ich hatte mich dafür nie interessiert. Ich kannte die Geschichten um die Heilige Johanna, das war auch alles. Dass ihr Herz nicht verbrannt war, hielt ich für eine Sage. McMurdock hatte mich eines Besseren belehrt. Einer, der die Jahrhunderte überlebt hatte. Auch das war schon schwierig zu begreifen. So ganz traute ich dem Frieden nicht. Er hatte mir auch keine Einzelheiten über die verschiedenen Zeitepochen erzählt, und er hatte sich zudem über mich gewundert. Genau das hätte nicht sein müssen. Meiner Ansicht nach hätte er längst von mir hören müssen, auch wenn wir uns nicht begegnet waren. Doch wie ein Zombie hatte er nicht ausgesehen. Vielleicht schaffte ich es noch, den Schleier des Geheimnisses zu lüften.
Der Wind blies mir gegen den Körper. Er war kalt und schneidend. Ich dachte wieder an die Insel der Äpfel, auf der ein ewiger Frühling herrschte. So zumindest hatte ich die Insel bei meinen wenigen Besuchen erlebt.
Meine Gedanken drehten sich um Nadine Berger und um den Dunklen Gral, den ich dort gelassen hatte. Als Pfand dafür, dass der Templer-Führer Abbé Bloch sein Augenlicht zurückbekam.
Es lag schon einige Zeit zurück, dass ich mit Avalon eine Berührung gehabt hatte. Nun wühlte sich wieder alles hoch, und ich fragte mich, ob das alles mit der Jahrtausendwende zu tun hatte.
Ich gehörte nicht zu den Menschen, die alles negativ sehen. Ich war Optimist. Zwar wurde die Menschheit nie ganz schlau, doch dass Computer reihenweise abstürzen würden, wollte ich nicht glauben.
Ich schloss das Fenster wieder und sinnierte weiterhin über Avalon nach, bis mich das Telefon störte oder auch nicht, denn irgendwie hatte ich auf den Anruf gewartet. Sehr schnell hob ich ab.
»Bist du es, John?«
»Ja, Ignatius.«
»Sehr gut, denn dich wollte ich sprechen…«
Schon an der Stimme meines Freundes aus Rom hatte ich erkannt, dass ihn Sorgen bedrückten, und deshalb fragte ich ihn auch sofort: »Was kann ich für dich tun, Ignatius?«
Er rückte noch nicht mit der Sprache heraus. »Es ist einiges in Unordnung geraten«, gab er ausweichend zu, »und das kann mir nicht gefallen.«
»Da gebe ich dir recht.«
»Ich hörte von einem Toten, John.«
»Meinst du diesen X-Ray?«
»Genau den.«
»Gehörte er wirklich zu euch? War er ein Mitglied deiner Mannschaft, Ignatius?«
»Er arbeitete für die Weiße Macht.«
»Und er ist von dir nach London zu mir geschickt worden? Du hast ihm den Auftrag gegeben?«
»Bitte, John, mach es nicht so förmlich. Ich weiß mittlerweile, was passiert ist. Er lebt nicht mehr. Er wurde umgebracht. Das kann ich nicht hinnehmen.«
»Augenblick, Ignatius«, sagte ich. »Es ist komplizierter als du vielleicht denkst. Wenn du diesen Mann nach London geschickt hast, dann hast du uns zugleich einen Verräter geschickt. Denn X-Ray stand nicht auf deiner Seite, obwohl er sich angeblich zu den Templern zählte. Wenn doch, dann galt sein Interesse Baphomet.«
Für einen Moment herrschte Schweigen in der Leitung. »Bist du dir sicher, John? Und weißt du genau, was du da gesagt hast?«
»Ja, völlig sicher. Er war ein Verräter. Er gehörte zur anderen Seite.«
»Wer hat dir das gesagt?«
Ich verriet keinen Namen und sagte nur: »Jemand, der sich auskennt. Ich habe ja nichts gegen dich, Ignatius, um Himmels willen, denn du weißt,
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