1144 - Der Rächer aus dem Morgenland
Dort war es auch dunkler. Die Patientin schlief mit offenem Mund, deshalb war auch ihr Schnarchen so gut zu hören.
Peggy Shaw schlief noch nicht. Bei ihr brannte auch das Licht. Es warf seinen Schein gegen die Trennwand und machte sie zu einer hellen und milchigen Scheibe.
Dr. Snider ging auch jetzt vor. Mit leisen Schritten näherte er sich dem Bett. Am Fußende blieb er stehen und beugte seinen Oberkörper nach vorn.
Wir hörten ihn flüstern, verstanden aber nicht, was er sagte. Auch nicht die leise gesprochene Antwort der jungen Patientin, doch der Arzt drehte sich um und nickte uns zu.
»Ist sie in Ordnung?«, fragte ich.
»Nein, das nicht. Sie leidet noch immer. Heute waren auch ihre Eltern und der Bruder kurz hier. Wenn ich Sie bitten darf, machen auch Sie es kurz.«
»Wir geben uns Mühe.«
Doc Snider trat zur Seite, so dass wir zu Peggy gehen konnten. Wir mussten an einer Seite stehen bleiben. Zwischen Bett und Wand. Die andere wurde von dem Schirm eingenommen.
»Ich warte dann an der Tür.«
Die siebzehnjährige Peggy Shaw war zwar schon ausgewachsen, aber sie wirkte in diesem normal breiten Bett doch recht schmal und irgendwie verloren. Das Kissen schien für den Kopf zu groß zu sein. Es konnte auch an der Blässe des Gesichts liegen, auf dem selbst die zahlreichen Sommersprossen so gut wie verschwunden waren. Die Haarfarbe lag zwischen Rot und Blond, und die Lippen der jungen Patientin waren so blass, dass sie erst beim zweiten Blick auffielen.
Sie hielt die Augen fast ganz geschlossen. Sehen konnte sie uns wohl nicht, trotzdem hatte sie uns bemerkt und fragte mit kaum zu verstehender Stimme: »Wer sind Sie?«
Es stand ein schmaler Stuhl zwischen Bett und Wand. Darauf nahm ich Platz, während sich Suko gegen die Wand lehnte.
Peggy hatte den Kopf zu uns gedreht. Sie musterte uns. Ihre Augen waren hell, und die Pupillen hatten einen leicht grünlichen Schimmer.
Ich erklärte ihr mit leiser Stimme, wer wir waren und weshalb wir uns hier bei ihr am Bett aufhielten. Peggy war so weit okay, dass sie alles nachvollziehen konnte. Sie flüsterte uns zu: »Wie sollen Sie mir helfen? Das geht nicht. Mir kann niemand helfen. Es ist einfach nicht möglich.«
»Warum sollte das nicht möglich sein?«
»Wen wollen Sie denn stellen, Mr. Sinclair?«
»Einen Mörder!«
Peggy lachte. Es sah nicht lustig aus und hörte sich auch nicht so an. »Sie sind von der Polizei. Sie können normale Mörder fangen, aber das ist er nicht, denn dieser Ritter ist wirklich etwas Besonderes.«
»Mag sein«, gab ich zu. »Das hat sich auch angehört, als wüsstest du mehr, Peggy.«
»Kann sein.«
»Willst du es uns sagen?«
»Das habe ich schon der Polizei hier gesagt. Es war Chief Inspector Tigger, der alles weiß…«
»Und dir nicht geglaubt hat.«
Peggy starrte mich nur an.
»Sorry, aber das musste ich leider sagen.«
»Sie haben ja recht, Mr. Sinclair.«
»Das ist gut.«
»Aber glauben Sie mir denn?«
»Deshalb sind wir hier.«
Peggy wartete noch mit dem Sprechen. Stattdessen schaute sie auf ihre Handrücken. Die Hände lagen dabei auf der Decke. Um den linken kleinen Finger war ein Verband gewickelt. An der rechten Stirnseite, am Haaransatz, klebte ein Pflaster. Andere Anzeichen auf Verletzungen entdeckten wir nicht.
»Selbst meine Eltern taten es nicht. Sie waren froh, dass ich noch lebte. Aber den Wagen habe ich in den Graben gesetzt. Ich wollte nur weg. Ich hatte so große Angst, obwohl er mir nichts getan hat. Er hat mir mit seinem Knochengesicht sogar zugelächelt, glaube ich, als hätte ich genau das Richtige getan.«
»Knochengesicht?«, murmelte Suko.
»Ja, in der Rüstung versteckte sich ein Skelett.« Sie schloss für einen Moment die Augen. »Das war einfach furchtbar. Auch deshalb, weil ich keinen Film sah, sondern alles in echt erlebte. Trotzdem hatte ich Angst und floh.«
»Kannst du dir vorstellen, warum dein Freund durch diesen Ritter getötet wurde?«
»Er war nicht mein Freund. Er war ein Bekannter. Er hat mich mitgenommen auf eine Probefahrt mit der Ente. Dann wollte er mir an die Wäsche. Petting machen. Aber ich wollte nicht und bin abgehauen. Als ich ihn wiedersah, war er tot.« Die Erinnerung daran trieb die Tränen in ihre Augen, und so warteten wir, bis sich Peggy wieder etwas erholt hatte und reden konnte.
»Aber es ist noch nicht vorbei«, sagte sie zu meiner Überraschung. »Wirklich nicht.«
»Was meinst du damit?«
Sie schaute Suko starr an. »Wie ich es gesagt habe.
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