1150 - Die Dunklen Apostel
Bewegungen aus dem Sarg gestiegen wie diese Gestalt, die jetzt aufrecht saß.
Das Licht störte sie nicht. Ich strahlte bewusst gegen das Gesicht und auch hinein in die Augenlöcher und in das Loch des Mundes. Ich wollte sehen, ob sich dort etwas füllte oder sich irgendeine Kraft abmalte. Ein Licht, ein Flimmern, etwas, das es gab und nicht so einfach zu erklären war.
Nichts dergleichen passierte. Die Gestalt blieb so »normal« wie immer. Sie legte die rechte Hand und auch den rechten Arm auf den Sargrand und holte sich so den nötigen Halt, um endlich aufstehen zu können.
Sehr langsam quälte sie sich hoch. Die alte Kleidung schabte leise raschelnd übereinander. Erst als die Gestalt aufrecht in der Totenkiste stand, wich Karina zurück.
»Das glaubt mir keiner«, flüsterte sie. »Ehrlich, das ist unwahrscheinlich…«
Die Gestalt ignorierte Karina ebenso wie mich. Es war nicht einmal sicher, ob sie uns überhaupt wahrnahm. Aber die alten Knochen bewegten sich schon, als Dimitri aus dem Unterteil des Sargs ins Freie stieg.
Leise knarrte das Stiefelleder beim ersten Schritt. Mit der linken Hand hielt die Gestalt das Kreuz mit den drei Querbalken fest wie eine wertvolle Beute.
Mit der rechten Hand zog sie die Waffe. Das Schwert rutschte aus der Scheide und verursachte dabei ein Schaben. Sekunden später lag es frei, und wir schauten auf eine Waffe, die nicht mehr blank war, sondern verrostet aussah.
Ich schwenkte die Lampe und ließ den Strahl über die Klinge gleiten. Dabei war ich nicht mehr so sicher, ob es sich um Rost oder um eingetrocknetes Blut handelte.
Das Skelett entfernte sich von uns. Es schaute uns nicht einmal an. Aber es ging auch nicht auf den Ausgang zu und suchte sich ein anderes Ziel aus.
Wie uns vorhin führte auch sein Weg auf die elf Särge zu. Was es dort wollte, war die große Frage.
Wir nahmen mit langsamen Schritten die Verfolgung auf und stoppten, als auch die Horror-Gestalt stehenblieb.
Sie beugte sich nach unten. Ob sie dabei einen bestimmten Sarg ausgesucht hatte, mochte stimmen, da kannte sich das Wesen besser aus. Das Schwert verschwand nicht in der Scheide. Sie stieß es auch nicht in eines der Skelette hinein, sondern tat etwas anderes. Sie machte das, was wir schon hinter uns hatten.
Sehr vorsichtig drapierte sie das Kreuz auf die Brust ihres Artgenossen.
Neben mir bewegte Karina ihren Kopf. Sie wollte mir einen Blick zuwerfen, tat dies auch und musste einsehen, dass ich darauf nicht reagierte.
Stattdessen ging ich zur Seite, um besser in den Sarg hineinschauen zu können.
Das zweite Skelett reagierte ebenso wie sein Vorgänger. Die innere Kraft des alten Russenkreuzes holte es zurück aus seinem starren Zustand.
Wieder begann das Zucken der Klauen. Wieder öffneten sie sich. Sie fassten nach dem Kreuz, und auch der Kopf bewegte sich jetzt. Zwei Knochenhände fanden sich.
Dimitri zog den anderen in die Höhe. Auch hier war er sehr behutsam, als wollte er auf keinen Fall etwas falsch machen oder zerstören.
Der zweite Knöcherne stand auf. Zuckend bewegte er sein linkes Bein, bevor er es über den Sargrand hinwegschwang und seinen Fuß hart auf den Boden setzte.
Er war etwas kleiner als Dimitri und trug unter der hellen Kutte eine dunkelrote Kleidung. Ein Hemd, eine Weste, einen Wams, die Hose - da stimmte auch alles. Und nichts an dieser Kleidung war in den Zustand der Verwesung übergegangen.
Karina Grischin hatte ihre Sprache zurückgefunden. »So wird sich Dimitri alle holen, John. Er will die Zahl zwölf komplett haben, und er wird sie auch bekommen.«
»Warte mal ab.«
»Glaubst du das nicht?«
Überzeugt war ich nicht, denn Dimitri traf keine Anstalten, auf einen nächsten Sarg zuzugehen. Er nahm seinem »Bruder« nur das Kreuz ab und drehte sich dann von den übrigen Särgen weg. Die zweite Gestalt folgte seinem Beispiel.
»Jetzt verstehe ich gar nichts mehr«, flüsterte Karina. »Das packe ich nicht mehr…«
»Keine Sorge, es geht noch weiter.«
»Will ich auch hoffen.«
Beide Gestalten standen dicht beisammen. Beide hatten ihre Waffen gezogen, und an beiden Schwertern klebte Blut. Ich leuchtete sie nicht mehr an und hatte die Lampe sogar ausgeschaltet, um die beiden Gestalten nicht zu irritieren.
Sie glotzten uns an.
Noch immer sah ich in den Augenhöhlen kein Leben. Sie waren und blieben leer. Trotzdem fühlte ich mich angestarrt, wie von einem scharfen Blick durchdrungen.
Karina erging es ähnlich. »Was wollen die von uns, John? Ich
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