1153 - Die Gruftie-Girls
nicht vorhanden, und trotzdem gab es ihn. Es war nur ein Ausdruck, aber diese Dunkelheit zog ihn an, ohne dass er sich dagegen wehren konnte.
Für Nick gab es nur die Augen. Vier schwarze Tümpel und nichts anderes mehr. Die Umgebung war längst abgetaucht, selbst die Gesichter waren nicht mehr vorhanden.
Die Schwärze existierte noch. Für Nick existierte auch keine Trennung mehr. Die schwarzen Augen waren zusammengewachsen und bildeten jetzt eine einzige Fläche, gegen die er sich nicht mehr wehren konnte.
Sie war der Magnet, der an ihm zerrte und ihn immer mehr auf dieses Ziel hinzog.
Aus der Schwärze heraus hörte er die flüsternd gestellte Frage und unterschied nicht einmal, wer von den beiden Gruftie-Girls gesprochen hatte.
»Bist du bereit für die Sünde?«
»Ja… ja…«, erwiderte er stöhnend und kannte seine eigene Stimme nicht mehr wieder…
***
Wir hatten Elmar Gentry zwar keine Handschellen angelegt, aber wir passten schon auf ihn auf, als er zwischen uns ging und uns dorthin führte, wo er bei seiner Mutter wohnte.
Er sagte kein Wort. Auf Fragen erhielten wir keine Antworten. Wie ein reuiger Sünder und mit gesenktem Kopf ging er zwischen uns. Wir sahen dabei nicht wie normale Spaziergänger aus. Das merkten wir an den Blicken der Passanten, die uns oft genug trafen und nicht eben fröhlich aussahen, sondern mehr verwundert.
Es war ein schöner Vorfrühlingstag geworden. Trotz des späten Nachmittags schien noch die Sonne. Bis zur Dunkelheit würde es noch einige Zeit dauern.
Gentrys Schweigen blieb. Er machte den Eindruck eines Mannes, der aufgegeben hatte. Das war auch an seinen Schritten zu verfolgen. Die Füße schleiften dabei über den Boden hinweg, und er schaute erst hoch, als wir in die Nähe es Hauses gelangten, in dem er wohnte. Da blieb er stehen und deutete nach links auf eine helle Fassade des mächtigen Altbaus, der einen frischen Anstrich bekommen hatte, als sollte dieser das Sonnenlicht einfangen und konservieren.
»Da müssen wir rein.«
»Gut«, sagte Suko.
»Direkt unten.«
»Noch besser.«
Es gab auch so etwas wie einen Vorgarten, durch den ein Weg führte.
Die wenigen Zweige der Büsche hatten bereits Knospen bekommen, und dieses zarte Grün gab irgendwie Hoffnung.
Nicht nur die Fassade hatte einen neuen Anstrich erhalten, man hatte auch die Tür nicht vergessen. Ihr dunkles Grün fing ebenfalls die Sonnenstrahlen ein, wie auch der Messingknauf, der hell glänzte.
Die Fensterscheiben gehörten zu Erkern, die sich über vier Etagen erstreckten. Sie ragten dabei wie gläserne Kästen zu beiden Seiten der Haustür in die Höhe.
Zu schellen brauchten wir nicht. Elmar hatte den Kopf angehoben und schaute nach rechts. Dort bewegte sich eine Gardine. Für einen Moment sahen wir ein Frauengesicht, das aber sehr schnell wieder verschwand.
»Das ist meine Mutter.«
Zu klingeln brauchten wir nicht. Wir hörten ein Summen und ließen Elmar vorgehen. Er drückte die Tür auf. Dass er hier allein mit seiner Mutter wohnte, wunderte uns schon. Normalerweise lebten junge Menschen wie er in einer anderen Wohnung, aber nicht jeder ließ sich über einen Kamm scheren.
Man hatte das Haus innen und außen renoviert. Wenn ich an die Londoner Mieten dachte, dann kam mir automatisch der Gedanke, dass die Wohnung hier nicht eben billig war.
Mrs. Gentry erwartete uns in der offenen Tür. Sie war um die Fünfzig, hatte ihr graues Haar leicht blondiert und trug ein dunkelrotes Wollkleid, das von keinem Gürtel gehalten wurde. Um den Hals hatte sie eine Kette gelegt, die silbrig blitzte. Ihr Gesicht zeigte Erstaunen, und wir sahen auch das leichte Make-up, das sie aufgelegt hatte.
»Sie… Sie… bringen mir meinem Sohn?«, fragte sie zur Begrüßung.
»Kann ich davon ausgehen, dass Sie Polizisten sind?«
»Gratuliere, Mrs. Gentry. Sie haben einen guten Blick«, erklärte ich.
»Ja, wir sind Polizisten. Scotland Yard.«
»Auch das noch.«
»Wieso?«
»Kümmern Sie sich denn nicht mehr um die großen Kapital-Verbrechen? Damit hat doch mein Sohn nichts zu tun.«
»Nicht nur«, sagte ich. »Dürfen wir reinkommen?«
»Bitte.« Sie trat zur Seite, schaute ihren Sohn an, der dem Blick der Mutter allerdings auswich.
Wir betraten das Zimmer mit dem Erkerfenster, in dem Mrs. Gentry uns Plätze anwies. Die Einrichtung war modern. Der Boden bestand aus grau gestrichenen Holzbohlen und hatte teilweise einen hellen Glanz, da die Sonne ihren Schein durch das Fenster schickte.
»Sie
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