1156 - Albtraum Elektra
näherte ich mich einer gefährlichen Grenze. Kannte diese seltsame Frau tatsächlich den Erschaffer meines Kreuzes?
Ich blickte in ihr Gesicht. Oft zeigte es sich in den Zügen oder den Blicken, ob jemand lügt oder die Wahrheit spricht. Von Elektra erhielt ich keine Antwort. Sie schaute mich nur ruhig an und wartete, bis ich meine Gedanken geordnet hatte.
»Was hast du mit ihm zu tun gehabt?«, fragte ich schließlich. »Hast du ihn gekannt?«
»Ja.«
»Und weiter?«
»Nicht nur so, John Sinclair. Ich kannte ihn sogar recht gut. Ich wusste auch, woran er arbeitete. Obwohl er Gefangener war und ich nicht, hatten wir schon etwas gemeinsames. Wir passten beide nicht in die Regeln hinein. Wir waren Ausgestoßene, und das führte uns eines Tages zusammen. Als der Erschaffer seines Kreuzes erkrankte, da hat man mich gerufen, um ihn zu heilen.«
»Hast du es geschafft?«
»Ja.« Sie veränderte ihre Haltung und setzte sich normal hin. »Ich kann dir sagen, dass er überglücklich darüber war. Aber er war auch arm an gewissen Gaben. Er konnte mir keinen Lohn für meine Arbeit geben, doch er spürte zugleich, dass ich etwas Besonderes war, und hat mich in sein Vertrauen gezogen.«
»Wie sah das aus?«
»Er berichtete mir von einem wundersamen Kleinod, das er zu schaffen gedachte. Von einer Waffe, die man nicht direkt als Waffe bezeichnen kann, sondern mehr als Schutz. Er war begeistert davon, und er sagte mir auch den Namen der Waffe.«
»Ein Kreuz!«
Elektra nickte…
***
Ich bewegte mich nicht von der Stelle und presste die Lippen zusammen. Leichter Schwindel hatte mich erfasst, doch er ließ sich ertragen. Ich wusste noch nicht alles, aber mir war klar, dass wir uns einem gefährlichen Themenfeld näherten.
Das Kreuz gehört mir. Es war auf verschlungenen Wegen zu mir gelangt, doch jetzt war ich nicht mehr so sicher. Ich ahnte schon, welchen Plan Elektra verfolgte. Sie brauchte das Kreuz nicht nur leihweise, sondern wollte es für immer in ihren Besitz bringen.
Ich strich über meine Stirn, auf der sich kalter Schweiß gebildet hatte. Mir fielen keine Worte ein, die Kehle klebte zu, und Elektra sah meinem inneren Kampf zu.
»Fällt dir nichts mehr ein, John Sinclair? Du kannst dir vorstellen, dass ich sehr lange gesucht und geforscht habe, um das Kreuz endlich zu finden…«
»Dann hast du überlebt?«
»Ja. Ich bin jemand, an dem die Zeiten vorbeigegangen sind. Ich habe es geschafft, wieder zu erwachen, denn ich konnte meinen Feinden ein Schnippchen schlagen. Als ich ihnen zu mächtig wurde, haben sie mich hier eingemauert, auf dass ich sterben sollte. Aber die Kraft der Göttin stand mir zur Seite. Ich habe überlebt. Ich bin nicht tot. Mir gelang die Flucht in das Totenreich, in dem ich lange, sehr lange Zeit ausgeharrt habe. Bis ich den Zeitpunkt meiner Rückkehr erkennen konnte, und der ist nun da. Ich erinnerte mich wieder an Hesekiel und seine Prophezeiung. Ich wusste, dass er es schaffen würde, und er hat es geschafft. Das Kreuz ist fertig geworden und befindet sich in deinem Besitz. Das kann ich nicht akzeptieren, denn du bist der Falsche. Eigentlich gehört es mir, denn mir hat es Hesekiel versprochen, noch bevor er es anfertigte. Ich habe ihn geheilt. Ohne mich hätte er es nicht geschafft. All deine Erfolge verdankst du mir, weil ich so lange darauf verzichtet habe. Nun ist die Zeit vorbei. Ich hole mir das, was mir einmal versprochen worden ist.«
So also sah ihr Plan aus. Elektra hatte es raffiniert angestellt, das musste man ihr lassen. Es war ihr gelungen, mich zu täuschen. Sie hatte so langsam angefangen, um mich dann in ihre Welt zu entführen.
Hier unten gab es nur sie und mich!
Sollte ich ihr glauben?
Genau das war mein Problem. Ich konnte es ihr nicht glauben. Ich wollte einfach nicht wahrhaben, dass der Erschaffer meines Kreuzes diesen Weg gegangen war, und deshalb schüttelte ich den Kopf.
»Nein, Elektra, ich falle darauf nicht herein.«
»Willst du mich als Lügnerin bezeichnen?«
Darauf ging ich nicht ein. »Das Kreuz kann nicht dir gehören. Es wurde tatsächlich von Hesekiel erschaffen, aber nicht für dich, sondern für den Sohn des Lichts. Und das bin ich!«
Sie lachte mich an und zugleich aus. »Was heißt denn hier Sohn oder Tochter?« Sie breitete die Arme aus. »Schau mich an. Wer bin ich denn? Bin ich ein Sohn? Bin ich eine Tochter? Ich bin beides. Ich bin das Kind einer Göttin, und deshalb werde ich auch einen göttinähnlichen Weg gehen. Ich brauche das
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