1164 - Die Wolfsfrau
blieb bestehen, und immer wieder waren andere Laute dazwischen zu hören, die einem Jammern und Wehklagen sehr nahe kamen.
Die Werwölfin kämpfte wie besessen, als wollte sie gegen ein bestimmtes Schicksal angehen. Immer wieder warf sie sich von einer Seite auf die andere, und sie war längst zu einem eigenen Schatten inmitten der grauen Schatten geworden.
Auf dem Bett hockte nach wie vor Judy Carver und schaute dem Kampf zu. Sie dachte gar nicht daran, einzugreifen und die Schwarzblütlerin zurückzuhalten. Sie wollte ihr auch nicht helfen. Es war einzig und allein ihr Kampf, und den musste sie durchstehen.
Die Bewegungen der Wölfin wurden noch wilder. Sie wuchtete sich von einer Seite auf die andere.
Dabei schrammte sie ihr Fell ab. Sie schlug mit den Pranken gegen ihren Körper. Die harten Krallen stießen in das Restfell hinein, um daran zu zerren und es büschelweise auszureißen.
Bis sie plötzlich still lag!
Auf dem Bauch blieb sie liegen. Sie war zu einer langgestreckten Gestalt geworden, die nicht mehr viel Ähnlichkeit mit einer Werwölfin besaß. An gewissen Stellen war das Fell völlig verschwunden, sodass schlanke Beine zu sehen waren. Auf dem Rücken wuchsen noch einige Büschel, die allerdings schwach waren und auch allmählich verschwanden, als wären sie weggeblasen worden.
Die Arme gestreckt. Krallen, die keine mehr waren. Ein Kopf, der sich stark verkleinert und sein Aussehen verloren hatte. Es gab keine Schnauze mehr und auch keine spitzen Ohren. Nicht den kompakten Hals, nicht die Tatzen, sondern wieder normale Hände und Füße.
Ein Mensch lag auf dem Boden. Eine Frau mit blonden Haaren, die ihr Gesicht nicht zeigte. Sie hielt es gegen den Boden gepresst, und aus dem Mund sickerte ein leises Stöhnen.
Auf dem Bett hockte Judy. Sie fühlte sich matt. Sie war müde geworden. Obwohl innerhalb des Verlieses die Bedingungen gleich geblieben waren, war der Wechsel von der Dunkelheit ins Helle schon zu spüren. Es brach für die Vampire eine Zeit an, die sie nicht mochten. Der Tag war ihr Feind, die Sonne der Todfeind.
Judy Carver zog die Beine an. Sie drückte sich bis gegen die Wand zurück, fand dort den nötigen Halt und stemmte ihre Arme neben den Körper. Mit den Händen drückte sie gegen die Unterlage.
Ihr Gesicht wirkte um Jahre gealtert. Die Augen sahen sehr matt aus, und das rote Haar war längst nicht mehr so glänzend, sondern stumpf und matt.
Sie starrte ins Leere. Sie bewegte ihre Lippen. Zum ersten Mal in ihrer neuen Existenz erlebte sie den Anbruch des Tages, aber die Sucht nach dem Blut der Menschen war nach wie vor da, und sie wartete darauf, den Lebenssaft der Menschen endlich schlürfen zu können.
Es war niemand in der Nähe. Oder doch?
Wieder gelang es ihr, normal zu denken. Es war klar, dass sie dabei ihren Blick in eine bestimmte Richtung lenkte. Auf dem Boden lag ein Mensch. Eine nackte Frau mit einem schön geschwungenen Rücken und einem gut gerundeten Hinterteil.
Judy Carver wünschte sich die Dunkelheit der Nacht zurück. Es blieb ein Wunschtraum. Sie musste die Tageswende abwarten. Erst dann kehrte die Kraft wieder zurück.
Aber sie wollte nicht so lange warten. Sie brauchte das Blut, um existieren zu können. Der Saft war so herrlich und kostbar. Es war einfach auch ihr Elixier.
Judy riss sich zusammen. Sie sammelte die Kräfte. Es brachte ihr nichts ein, wenn sie jetzt auf dem Bett hocken blieb und darüber nachsann, wie schwach sie war.
Auf der Erde vor dem Bett lag das nackte Opfer. Es drehte ihr den Rücken zu. Es kümmerte sich nicht um die Blutsaugerin. Aus dem für Judy nicht sichtbaren Mund drang ein leises Stöhnen, das diesmal ein sehr menschlicher Laut war.
Judy bewegte sich in entgegengesetzter Richtung. Wäre es nach ihrer Schwäche gegangen, sie hätte sich gern wieder zurück auf das Bett gelegt und die Zeit bis zum Anbruch der Dunkelheit in einem Dämmerzustand verbracht. In der Nacht hätte sie mit der wahnsinnigen Blutjagd beginnen können, aber auch hier lag die Nahrung greifbar vor ihr. Sie musste nur zugreifen.
Mit etwas tapsigen Bewegungen streckte Judy die Arme vor. Alles an ihr wirkte langsam. Sie musste sich überwinden und viel Kraft einsetzen, um den Rand des Bettes zu erreichen. Zwischen den Zähnen drang ein scharfes Zischen hervor, verbunden mit einem leidvollen Stöhnen, das auch dann nicht aufhörte, als sie sich über die Bettkante schwang.
Judy Carver fiel auf den Boden. Die Schwäche hatte sie in die Knie sinken
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