1164 - Die Wolfsfrau
lassen. Sie drehte sich und streckte dabei ihre Arme nach vorn. Dann ließ sie sich fallen, und beide Hände berührten den Boden, um sich abzustützen.
Es war nur eine kurze Distanz bis zur Blutquelle. Eigentlich lächerlich.
In ihrem Fall nicht.
Sie musste das Blut haben. Mit einem leeren Tank war sie hilflos. Es musste einfach weitergehen.
Sie wollte kämpfen, sie würde es um jeden Tropfen tun.
Mit der Zunge umleckte sie ihre Lippen. Das leise Stöhnen begleitete sie bei ihren Bewegungen. Sie hatte große Mühe, auf den nackten Körper der Frau zuzugleiten.
Alice Carver merkte von dem nichts. Auch sie war erschöpft. Die Rückverwandlung hatte sie immens viel Kraft gekostet. Überhaupt war die nächtliche Existenz als Werwölfin eine kräfteraubende Angelegenheit, die nicht so einfach auszugleichen war. Es dauerte einige Zeit, bis sie sich erholt hatte.
Ihr Gesicht berührte noch immer den Boden. Das Stöhnen war nur sehr leise, aber es zeugte davon, dass sie sich noch immer nicht erholt hatte.
Aber Alice versuchte es. Allmählich fing sie wieder zu denken an wie ein Mensch. Die Erinnerungen an die Nacht verschwanden. Sie hätte auch kaum erklären können, was in diesen langen Stunden mit ihr geschehen war. Es lag alles in so weiter Ferne und war vom Mantel des Vergessens bedeckt.
Es war gut, dass sie auf dem Boden lag. So konnte sie sich ausruhen und musste sich nicht anstrengen, um irgendwo hinzulaufen. Sie hielt die Augen offen. Der Kopf hatte sie ganz leicht gedreht, und sie sah auch das graue Licht.
Es war ihr alles so unbekannt, aber auch gleichgültig. Sie wusste nicht, wie sie in diesen Raum gelangt war.
Aber sie war nicht allein!
Sie hörte plötzlich Geräusche hinter sich. Ein Schaben, ein Stöhnen, so etwas wie ein Tappen von Händen oder Füßen. Kein Atmen. Dafür ein Zischen.
Alice war noch zu benommen, um die Geräusche richtig einstufen zu können. Sie drehte sich auch nicht herum. Dazu fehlte ihr einfach noch die Kraft, aber die Geräusche hinter ihrem Rücken hörten nicht auf. Sie kündeten von einer Gefahr.
Nach der Verwandlung zurück in den Menschen war bereits einige Zeit vergangen, und so hatte sich die Werwölfin wieder erholen können. Sie würde auch in der Lage sein, sich wieder zu erheben, um endlich auf die Beine zu kommen.
Es blieb beim Vorsatz!
Die andere Person war schon nahe an Alice herangekommen. Und sie dachte nicht daran, Alice freie Bahn zu lassen. Sie hatte beide Hände ausgestreckt und ließ sich plötzlich nach unten fallen.
Alice Carver schrak zusammen, als sie das Gewicht der Hände auf ihrem Kopf spürte. Die Finger wühlten sich in das blonde Haar hinein und hakten sich dort fest. Sie hörte ein heftiges Stöhnen.
Dann wurde ihr Kopf in die Höhe gezerrt und so gedreht, dass sich der Körper ebenfalls drehte. Er fiel auf die Seite, sodass beide Frauen ihre Gesichter aus kurzer Entfernung sahen.
Es traf sie wie ein Blitz.
Beide dachten das Gleiche, sprachen es aber nicht aus.
Meine Schwester!
***
Es war alles so gekommen, wie wir es uns vorgenommen hatten. Wir waren über den schmalen Weg gegangen und hatten den Rover an der Straße stehen gelassen.
Der Himmel war vollständig hell geworden. Er zeigte eine beinahe schon kitschige Bläue, auf der hin und wieder nur ein paar weiße Wölkchen klebten, die duftig aussahen, wie frisch gewaschen.
Der Tag hatte vom Wetter her so herrlich angefangen. Er passte in einen Frühsommer hinein. Aber er würde auch seine Probleme bringen, was nicht nur den Umschwung des Wetters anging.
Ich wollte das Haus ganz offiziell betreten. Suko und Bill hatten vor, sich die Rückseite und die Umgebung anzuschauen. So konnte dem Blut-Galan auch ein eventueller Fluchtweg verbaut werden.
Der schmale Weg war tatsächlich fast zugewachsen. Mit dem Wagen hätten wir Schwierigkeiten gehabt, an das Haus heranzukommen. In der Luft lag ein herrlicher Duft von Sommerblumen. Das Hochmoor stand in der vollen Blüte.
Jason Quinn hatte Recht gehabt. So einfach war das Haus nicht zu sehen. Nicht nur wegen der grauen Steinmauern, auch wegen des Gartens davor, der eigentlich keiner mehr war, denn hier hatte der Besitzer der Natur freie Bahn gelassen. Sie hatte sich ausbreiten können und alles überwuchert.
Ich ging durch die Lücke zwischen zwei Bäumen und an einer wilden Hecke entlang. Das Haus sah für mich aus, als wäre es in den Boden hineingerammt worden.
Durch das Grau der Mauern wirkte es auf mich wie eine kleine
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