117 - Die Pranke der Sphinx
Gold und
prachtvoll geschliffenen Edelsteinen. Smaragde. Rubine, dunkel und
unergründlich das Funkeln der Tansanite, hell und strahlend, reinweiß das Licht
der Brillanten.
Franca Centis war wie verzaubert. Vergessen schien, wie
sie hierherkam, kein Gedanke mehr an die furchtbare Mumie, die sie entführte.
Plötzlich konnte sie verstehen, wie Reichtum die Menschen
verändert. Sie begriff ihren Vater. Dabei hatte er dieses Licht, das von
überall her und nirgends kam, nie gesehen. Die junge Frau warf keinen Blick
mehr in die Höhe. Das Antlitz der Sphinx, das steinern und verschlossen war,
die riesigen, mandelförmigen Augen, der überdimensionale Mund, die Löwenmähne,
die den Kopf zierte — das alles hätte sie unter anderen Umständen weit mehr
interessiert als materieller Reichtum.
Sie konnte sich nicht satt sehen.
Ihr Blick war auf eine wunderschöne Kette gerichtet, die
halb aus der überquellenden Truhe heraushing.
Mit zitternden Händen griff sie danach.
Und da geschah es!
Kaum berührte Franca Centis das Geschmeide, durchzuckte
es sie wie ein Blitz.
Im gleichen Augenblick lief ein Vibrieren durch den
Boden, ein donnerndes Brüllen brach los.
Franca Centis erwachte aus ihrem Traum.
Sie sah sich die Kette halten und registrierte
gleichzeitig, daß die Luft vor ihr plötzlich mit Leben erfüllt war.
Das Gold, das fein säuberlich vor den Füßen der Sphinx
aufgeschichtet war, geriet in Bewegung. Franca Centis wich mit einem wilden
Aufschrei zurück.
Ein Alptraum wurde wahr!
Die linke Pranke der Sphinx hob sich, riß die goldenen
Berge auseinander, und der ganze riesige, steinerne Leib dehnte und reckte
sich. Das furchtbare Maul, weit geöffnet, gab Laute von sich, die direkt aus
der Hölle zu kommen schienen. Franca Centis sah die Pranke des steinernen
Kolosses genau über sich, drohend und schwarz, eine Wand aus massivem Stein,
die sich auf sie herabsenkte, um sie zu zerquetschen ...
Gellend war ihr Aufschrei.
Sie wußte, daß sie verloren war. Unfähig, auch nur einen
einzigen Schritt zurückzuweichen, stand sie da wie gelähmt.
Der Schatten über ihr war monumental.
Nur einen Atemzug noch, dachte Franca Centis.
Da fühlte sie sich von Händen gepackt, verlor förmlich
den Boden unter den Füßen und flog zurück, wußte aber nicht wohin.
Ein schlauchähnlicher Gang, hohe Wände...
Es krachte. Die Pranke der Sphinx donnerte auf den Boden.
Der steinerne Untergrund, auf dem Franca Centis eben noch stand, riß auf und
spaltete sich. Es knirschte, und der Boden erzitterte. Das Gold schepperte, und
kostbare Vasen kippten um.
Der steinerne Koloß reckte den mächtigen Kopf. Die
Deckenplatte über ihm spaltete sich. Sand und Gesteinsbrocken lösten sich,
rieselten herab und sprangen von dem zum Leben erwachten Monument. Sie wurden
zu gefährlichen Querschlägern.
Franca Centis bekam das alles nicht mehr mit.
Sie war halb ohnmächtig vor Angst und registrierte nur
die Nähe eines Menschen, der den Mut hatte, sie aus der Hölle zu holen und vor
dem sicheren Tod zu erretten.
Zehn, zwanzig Schritte weit ging es durch einen
tunnelähnlichen Gang. Dann blieben sie stehen, schweißüberströmt, und ihr Atem
flog.
»Danke, vielen Dank«, das Mädchen richtete den Blick auf
den Mann, der vor ihr stand, seine Hände mit kräftigem Druck — aber ohne ihr
weh zu tun — um ihre Oberarme gespannt hielt, um sie vor dem Fallen zu
schützen.
Sie wankte und hatte überhaupt kein Gefühl mehr in den
Beinen. Alles an ihr und in ihr schien wie abgestorben.
Wie durch einen flirrenden Nebelschleier erkannte sie ein
sympathisches, verschwitztes Gesicht. Das Haar hing ihrem Gegenüber in die
Stirn, er strich es mit einer raschen Geste zurück.
Ein flüchtiges Lächeln spielte um die zitternden Lippen
der charmanten Italienerin.
»Sie ... tauchen scheinbar immer ... dann auf .... wenn
es am nötigsten ist...« entrann es ihren Lippen.
»Zufall«, bemerkte Larry Brent tonlos und ließ den Blick
über sie hinweggehen nach vorn zum Ende des Ganges, durch den er kam, wobei er
von ferne schon das Gleißen und Strahlen des märchenhaften Goldschatzes
wahrgenommen hatte. Er war in den Goldsaal gelangt, auf anderem Weg wie Franca
Centis. Er hatte sie vor dem Ungeheuer gerettet, aber noch hatten sie nicht
viel gewonnen.
Der steinerne Titan tobte und brüllte, und seine
mächtigen Prankenschläge hallten durch das Labyrinth der Gänge.
Es krachte und barst, und die Öffnung vorn verschloß
sich, als die Pranke
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