1172 - Die Macht des Kreuzes
alle mit in die Manege nahm, weil einige von ihnen zu nervös waren.
Mirko gefielen die Tiere nicht. Ansonsten waren sie ruhiger. Er hatte ihnen zu fressen gegeben, und sie hätten eigentlich still sein müssen.
Das waren sie jedoch nicht. Sie gingen hin und her, als wären sie dabei, sich zu belauern.
Manchmal sprangen sie auch an den Stäben hoch. Dann wehte ein leises Fauchen aus ihren offenen Schnauzen. Das gefiel Mirko überhaupt nicht. So unruhig hatte er sie selten nach einer Vorstellung erlebt, und er spürte den Schweiß auf den Handflächen. Ein Zeichen, dass er selbst auch erregt war.
Es würde etwas passieren. Es lag in der Luft.
Wieder der Blick zu Emily.
Sie sah aus wie immer. Sie liebte helle Kleidung. Darauf hatte sie auch in dieser Nacht nicht verzichten wollen, obwohl eine dunkle besser gewesen wäre.
Noch stand sie bewegungslos auf dem Fleck und beobachtete nur. Er konnte ihr Gesicht nicht erkennen, aber Mirko stellte sich vor, dass sie lächelte. Das hatte sie immer getan, wenn sie zu den Raubtieren gegangen war. Sie hatte gelächelt und mit ihnen auf ihre Art und Weise gespielt.
Plötzlich bewegte sie sich. Auch Mirko zuckte, aber er stieß die Tür nicht weiter auf, sondern blieb auf der Schwelle stehen. Das hatte seinen Grund.
Sie ging und ging doch nicht. Mirko sah es genau, weil er mit den Blicken den Weg ihrer Füße verfolgte. Eigentlich hätten sie über den Boden gleiten müssen. Bei diesem Belag hätte er auch etwas zu hören bekommen, doch nichts davon stimmte.
Sie ging lautlos.
Nein, sie schwebte!
Mirko drückte die Hand vor seinen Mund, um sich nicht durch ein Stöhnen zu verraten. Was er hier geboten bekam, war nicht mehr nachzuvollziehen. Das ging an die Grenzen des menschlichen Verstands. Aber hatte sie nicht immer von den Engeln geredet und gesponnen? Und dass sie wie ein Engel werden wollte?
Er ließ sie einige Meter schweben oder gehen und schob erst dann die Tür weiter auf. So konnte er auf ihren Rücken schauen. Da sie dort keine Augen hatte, waren sicher, dass sie ihn nicht wahrnahm.
Ihr Ziel waren die Käfigwagen. Wie hätte es auch anders sein können?
Sie blieb etwa eine Körperlänge davor stehen, tat aber noch nichts Schlimmes, sondern schaute zunächst nach links und rechts und dann auch sehr plötzlich zurück.
Mirko sah sie trotzdem nicht. Er hatte die Tür blitzartig wieder zugezogen.
Tief atmete er durch. Der erste Kelch war an ihm vorbeigegangen, der zweite würde es auch, wenn er sich richtig verhielt. Dafür würde er schon sorgen.
Wieder schob er die Tür nach außen.
Emily war weg!
Zunächst glaubte Mirko, sich geirrt zu haben, aber es war keine Täuschung. Er sah nichts mehr. Weder vor den beiden Wagen noch seitlich davon.
War es nur ein kurzer Besuch gewesen? Nur ein schnelles Schauen, um sich dann wieder zurückzuziehen? Er wollte es nicht glauben. Für Mirko waren jetzt die Panther wichtig. Er beobachtete noch aus sicherer Entfernung ihr Verhalten und konnte nichts Ungewöhnliches feststellen.
Die Besucherin hatte sie nervös gemacht. Wie immer gingen sie ihre Wege, nur wollte keines der Tiere schlafen. Genau das empfand Mirko als ungewöhnlich.
Nachdem er eine Weile gewartet hatte und keine Veränderung eingetreten war, schob er die Tür so weit auf, dass er den Wohnwagen bequem verlassen konnte.
Seine Schritte waren auf dem Boden zu hören, und genau das ärgerte ihn, ließ sich leider nicht vermeiden, auch wenn er schlich und sich dabei immer wieder umschaute. Er kam sich in dieser Haltung schon selbst wie ein Dieb in der Nacht vor.
Im Laufe der Zeit hatte Mirko zu den Panthern so etwas wie eine Freundschaft entwickelt. Sie kannten ihn und begrüßten ihn stets auf eine gewisse Art und Weise. Schon bei einer gewissen Entfernung nahmen sie seine Witterung auf und freuten sich. Das jedenfalls glaubte Mirko immer. Er war jemand, der Tiere lieber mochte als die meisten Menschen. Sie waren seiner Meinung nach ehrlicher.
Bis auf diese Nacht. Das Verhalten hatte sich verändert. Und auch jetzt, da die Vorstellung gelaufen war und die Zuschauer sich auf den Heimweg gemacht hatten, gab es noch keine Ruhe bei ihnen im Käfigwagen.
Unruhig liefen sie hin und her. Er nahm ihr Fauchen und auch Knurren wahr. Überhaupt war es in der weiteren Umgebung recht still geworden.
Die Stimmen der Mitarbeiter hielten sich zurück. Niemand stand mit einem zusammen. Man nahm keinen gemeinsamen Drink, es wurde nicht diskutiert. Das Geschehen während
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