1176 - Der unheimliche Leichenwagen
sprachen.
Er hatte uns schon erwartet und stand vor der großen Doppeltür. Als er seine Tochter sah, erkannte er sofort ihren Zustand. Er nahm sie in die Arme, wo sich Carina wieder ausweinte. Aber sie hatte sich schnell wieder gefangen und deutete auf uns. »Es gibt da jetzt vieles zu klären.«
»Rio?«, fragte Thomas.
»Nicht nur«, sagte Suko.
»Gut, dann kommen Sie bitte mit.«
Wir gingen nicht durch das große Tor, durch das auch die Löschzüge fuhren, sondern nahmen einen Eingang an der Seite. Über eine Eisentreppe gelangten wir in den geräumigen Aufenthaltsraum der Feuerwehrleute, der allerdings menschenleer war. Auf den Tischen standen noch einige volle Aschenbecher.
Es gab einen großen Automaten, an dem man sich Getränke ziehen konnte, was Thomas auch tat.
Zumindest für sich und seine Tochter. Suko und ich verzichteten.
Als er sich gesetzt hatte und seine Tochter anschaute, sagte er: »Es geht dir schlecht, das sehe ich dir an. Das gefällt mir gar nicht. Was ist passiert?«
»Dad, das wirst du kaum glauben. Ich möchte es dir nicht erzählen. Das sollen die beiden übernehmen.«
Er blickte uns an. »Ist es so schlimm?«
»In gewisser Weise schon«, stimmte Suko zu. »Zugleich auch rätselhaft, Mr. Thomas.«
»Ach.«
»Wir müssen zurück in die Vergangenheit dieses Ortes gehen«, sagte ich, »und Ihre Tochter sagte uns, dass sie sich mit dieser Zeit hobbymäßig beschäftigt haben.«
Er wurde etwas verlegen. »Ich weiß nicht, was ich dazu sagen soll.«
»Die Wahrheit.«
Er nickte. »Ja, das ist mein Hobby.«
»Wunderbar, Mr. Thomas. Darauf wollte ich hinaus, denn was in der Gegenwart passiert ist, kann eigentlich nur durch das Geschehen in der Vergangenheit geklärt werden.«
»Das verstehe ich noch nicht.«
»Das werden Sie gleich«, beruhigte ich ihn. »Ich komme sofort zum Punkt. Erinnern Sie sich, ob in den Chroniken etwas von einer Familientragödie gestanden hat? Dass ein Mann seine Frau, seine Tochter und danach sich selbst erschossen hat, aber seinen Sohn nicht erwischte, der deshalb entkommen konnte?«
Überrascht riss Thomas seine Augen auf. »He, woher wissen Sie davon? Durch Carina? Der habe ich nichts erzählt. Kann natürlich sein, dass sie aus anderer Quelle darüber etwas erfahren hat, aber von mir hat sie es nicht.«
»Keine Sorge, Ihre Tochter hat damit nichts zu tun. Möglicherweise indirekt, aber das ist jetzt nicht wichtig. Ihrer Reaktion entnehme ich, dass es eine derartige Tragödie tatsächlich gegeben hat.«
Seine Hände rutschten unruhig über die Tischplatte aus Resopal. Anscheinend hatte ich ein Thema angeschnitten, das ihm nicht gefallen konnte. »Sie haben Recht, es hat damals leider eine schreckliche Tragödie in dem Haus gegeben, in dem auch dieser Rio Redcliff wohnt.«
»Wie lange liegt das zurück?«
Der Mann hob die breiten Schultern und überlegte kurz. »Ein genaues Datum kann ich Ihnen nicht sagen, Mr. Sinclair. Da müsste ich in den Chroniken nachsehen.«
»Mir reicht der ungefähre Zeitraum.«
»Nun ja, da würde ich sagen, dass sich dies vor knapp hundert Jahren abgespielt hat.« Er legte die Stirn in Falten und schaute auf seine Hände. »Die Menschen damals waren geschockt. So etwas hatte es in Beckton noch nie gegeben. Man war erschüttert, und manche sprachen sogar von einem Fluch.«
»Was passierte mit dem Jungen?« Suko hatte die sehr wichtige Frage gestellt.
Ross Thomas hob seinen Kopf und schaute den Inspektor an. »Der hat tatsächlich überlebt.«
»Kennen Sie seinen Namen?«
Da brauchte Thomas nicht nachzudenken. »Valentin. Der Junge hieß Valentin.«
»Und wie weiter?«
»Rossiter!«
Bei uns blieb das Staunen zurück, auch Thomas fiel erst jetzt auf, was er da gesagt hatte. »Verdammt, es gibt ja die Familie noch. Oder den Namen.«
Ich fragte sofort weiter. »Hat dieser Victor Rossiter etwas damit zu tun?«
»Hm.« Ross kniff die Augen zusammen. »Bestimmt nicht in direkter Linie. Der Mörder Rossiter stand mit seinem Namen nicht allein. Es gibt einige Rossiters hier in Beckton. Das müsste man zurückverfolgen, wenn Sie es möchten.«
»Kann sein, aber später. Uns interessiert wirklich, was mit dem Jungen geschah. Er ist Zeuge des Vorfalls geworden und muss einfach darunter gelitten haben.«
»Woher wissen Sie das denn?«
»Wir haben es erlebt, Dad!«
Ross Thomas sagte zunächst nichts. Er schaute nur seine Tochter an. Der Blick sprach Bände. Er glaubte ihr nicht. Sie aber ließ sich nicht beirren und
Weitere Kostenlose Bücher