1176 - Der unheimliche Leichenwagen
nickte. Allerdings gab sie keinen Kommentar dazu ab.
»Es stimmt«, erklärte ich. »Fragen Sie bitte nicht nach den Gründen oder nicht jetzt. Nehmen Sie bitte alles als gegeben hin. Wichtig ist das Schicksal des Jungen. Was wurde aus Valentin Rossiter?«
Thomas trank einen Schluck aus der Dose. »Das ist schwer zu sagen, und eigentlich schweigen sich die Chroniken über ihn auch mehr oder weniger aus. Er ist ja Waise geworden, und ich weiß, dass er bei der Verwandtschaft nicht unterkam. Sie schob einen Teil der Schuld auch auf ihn zurück, was natürlich Quatsch ist, aber tun Sie mal was dagegen. Der Junge ging auch nicht weg. Soviel ich gelesen habe, fand er eine neue Heimat in einem Kloster.«
»Hier in der Nähe?«
»Kann man sagen. Aber jenseits des Flusses. Die Mönche haben ihn aufgenommen.«
»Und ab dann verlor sich seine Spur, wie?«
Ross Thomas schüttelte den Kopf und lächelte dabei. »Nein, nicht völlig. Es gab hin und wieder etwas von ihm zu hören. Als er älter wurde, stellten die Mönche sehr bald fest, dass Valentin sehr intelligent war. Heute würde man von einem hoch begabten Kind sprechen. Ein kleiner Einstein gewissermaßen. Das war alles bei ihm so.«
»Dann ging es ihm ja gut«, sagte ich. »Tja, sollte man meinen.«
Der Tonfall hatte mich irritiert. »Doch nicht?«
»Wie heißt es noch so schön? Es ist nicht alles Gold, was glänzt. Auch in diesem Fall gab es einen Schatten.«
»Was meinen Sie damit, Mr. Thomas?«
Er lächelte etwas schief. »Selbst in den alten Chroniken sind Klatsch und Tratsch vertreten. Schriftlich fixierte Gerüchte, über deren Wahrheitsgehalt man nichts mehr herausfinden kann. Das war auch bei unserem Freund Valentin so.«
»Können Sie nicht konkret werden?«, fragte Suko vorsichtig.
Er erntete einen strafenden Blick. »Nein, das kann ich nicht. Nirgendwo ist genau schriftlich fixiert, was in diesem Kloster mit Valentin Rossiter geschah. Irgendwann ist er verschwunden. Einfach abgetaucht. Da war er weg.«
»Keine Spuren?«
»Nein.«
»Nie mehr etwas von ihm gehört?«
»So ist es.«
Suko und ich hatten uns in der letzten Fragerei abgewechselt. Es war interessant, was wir zu hören bekommen hatten, und wir kamen damit auch gut zurecht, aber uns fehlten trotzdem noch Hinweise, die uns auf eine Spur hätten bringen können.
Ross Thomas bemerkte, dass uns da einiges auf der Seele brannte. Bevor wir ihn ansprechen konnten, winkte er schon ab. »Ich weiß nichts. Ich weiß wirklich nichts.«
»Sie wissen doch gar nicht, was wir hatten fragen wollen.«
»Trotzdem.«
Ich sprach ihn wieder an. »Ist denn nirgendwo niedergeschrieben worden, mit welchen Forschungen sich der Mann beschäftigt hat? Wenn er als kleiner Einstein bezeichnet wurde, dann müssten doch die Physik, Mathematik und vielleicht auch die Philosophie sein Interesse geweckt haben.«
»Ja, das stimmt schon!«, vernahmen Suko und ich die Antwort. »Er ist wirklich ein Zeitforscher gewesen. Er hat sich wohl mit der Zeit beschäftigt, das drang nach draußen.«
»Bis in die Chroniken hinein?«, fragte ich.
»Natürlich. Man muss schon zwischen den Zeilen lesen. Außerdem finden sie diese Aufzeichnungen nicht in den Archiven unserer kleinen Stadt. Valentin hat hier ja nicht mehr gelebt, sondern im Kloster. Auf Grund meiner Forschungen gelang es mir, Einblicke in die alten Chroniken nehmen zu dürfen. Man hat mich akzeptiert.«
»Existiert das Kloster noch?«, fragte ich.
»Nein. Das wurde aufgelöst. Im Bistum konnte ich Einblick in die Chroniken nehmen. Schon vor dem Zweiten Weltkrieg ist das Kloster verlassen worden.« Er trank wieder Wasser und sah dabei so aus, als wäre ihm noch etwas eingefallen. Ich wollte nicht behaupten, dass sich sein Gesicht aufhellte, aber in den Augen malte sich schon etwas ab.
»Noch ein Gerücht?«
Ross Thomas grinste. »Sie haben eine gute Nase, Mr. Sinclair. In der Tat ist mir noch etwas eingefallen. Es hält sich das Gerücht, dass Valentin Rossiter aus dem Kloster vertrieben sein soll. Mit Schimpf und Schande. Man wollte ihn nicht mehr haben.«
»Kennen Sie den Grund?«
»Man sprach von Ketzerei.«
»Das ist stark.«
»Kann ich nicht beurteilen. Ich würde sagen, dass den Mönchen seine Forschungen nicht so recht in den Kram gepasst haben. Mehr weiß ich aber auch nicht.«
»Ketzer«, murmelte ich und schaute meinen Freund Suko dabei an. »Ketzer oder Erfinder?«
»Wo ziehst du da die Grenze?«
»Das ist schwer.«
Ross Thomas sprang darauf
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