1176 - Der unheimliche Leichenwagen
Beinen halten konnte und vor der Küchenzeile zusammensackte. Sie glitt einfach in die Hocke und schlug die Hände vors Gesicht, um den Tränen freien Lauf zu lassen.
Die junge Frau war fertig. Das Erlebte hatte sie erschüttert. Es war besser, wenn ich sie in Ruhe ließ.
Deshalb drehte ich mich zu meinem Freund Suko um.
Er stand auf seinem Platz. Den rechten Arm hatte er schräg nach unten gestreckt, und seine Hand drückte nach wie vor gegen den oberen Rand der Rückenlehne des Sessels. Als er meinen Blick sah, da hob er leicht die Schultern an. Diese Bewegung wies auf seine Ratlosigkeit hin.
Und das bei Suko, der eine Waffe besaß, mit der er ebenfalls die Zeit manipulieren konnte. Was wir allerdings hier erlebt hatten, mussten wir erst verarbeiten und analysieren.
»Du hast das gesehen, was ich sah?«, fragte ich ihn.
»Ja, ich denke schon.«
»Es waren zwei Ereignisse, die sich in verschiedenen Zeiten abspielten. Rio kehrte zurück. Ich glaube nicht, dass es lange her ist. Es kann heute Morgen gewesen sein.«
»Er holte Werkzeug.«
»Damit repariert man.«
»Zum Beispiel ein Auto«, sagte Suko. »Einen Leichenwagen, der zur Hölle fährt.«
»Das kann stimmen. Deshalb hat man ihn wohl geholt. Er arbeitet in einer Autowerkstatt. Aber mir wollen die verfluchten Morde nicht aus dem Kopf. Nur der Junge ist entkommen.«
»Hast du das Auto gesehen, John?«
»Sicher. Es war der Leichenwagen in einer Miniaturausgabe. Er kann ihn später als Erwachsener gebaut haben, auch das dürfen wir nicht außer Acht lassen. Wichtig ist die Vergangenheit und das Schicksal des Jungen, der so Schreckliches gesehen hat, dass er womöglich für sein gesamtes späteres Leben gezeichnet wurde. Und das ist hier in Beckton passiert. Sogar in dieser Wohnung. Ich kann mir denken, dass es Menschen gibt, die sich zwar nicht daran erinnern, die aber über diese Tragödie noch Bescheid wissen. Denn so etwas ist einmalig. Derartige Dinge sind auch nach Jahrzehnten noch erinnerbar.«
»Gehst du davon aus, dass der Junge von damals die unheimliche Mönchsgestalt von heute ist?«
»Für mich gibt es keine andere Lösung. Aber wie es dazu gekommen ist, müssen wir noch herausfinden.«
»Mein Vater kennt sich aus, glaube ich.«
Carina hatte sich gemeldet und alles, was wir gesagt hatten, verstanden. Sie saß noch immer auf dem Boden, die Beine von sich gestreckt und schaute uns an. Ihre Augen waren vom Weinen gerötet. Unter ihnen zeichneten sich dunkle Ringe ab.
»Sind Sie sich ganz sicher, Carina?« fragte ich.
»Ja, das bin ich.«
»Warum?«
»Weil sich mein Vater für die Geschichte des Ortes interessiert hat. Er kennt auch alte Chroniken. Als ich noch ein Kind war, hat er uns von Ereignissen aus der Vergangenheit berichtet.«
»Auch von dieser Untat?«
»Nein«, flüsterte sie, »nein, das ist wohl zu schrecklich gewesen. Außerdem war ich noch ein Kind. Da ist es schwer, so etwas zu verkraften.«
»Dann sollten wir noch mal mit Ihrem Vater reden«, schlug ich vor. »Fühlen Sie sich in der Lage?«
»Das muss ich ja wohl!« flüsterte sie. »Aber eines weiß ich jetzt. Rio lebt noch.«
»Das denke ich auch.«
Danach zog ich Carina in die Höhe, und sie war froh, sich gegen mich lehnen zu können. Sie zitterte noch immer. Ich würde alles daransetzen, dass ihr nicht auch etwas passierte.
Über das Phänomen der Zeitverschiebung wollten wir uns jetzt keine Gedanken machen. Das hatte Zeit bis später. Wichtiger war das Gespräch mit Ross Thomas. Bei diesem Fall blieb irgendwie alles in der Familie, hatte ich das Gefühl. Die verschwundenen Leichen, der Grund, dass wir überhaupt hergekommen waren, hatte ich längst vergessen.
Ich holte mein Handy hervor. »Möchten Sie mit Ihrem Vater sprechen, Carina?«
»Nein, bitte nicht. Ich… ich… kann mich wohl nicht so sehr zusammenreißen. Tun Sie das.«
»Okay, sagen Sie mir die Nummer, unter der ich ihn erreichen kann.«
Sie gab mir die Durchwahl. Während ich die Zahlen eintippte, ließ ich Carina nicht aus den Augen.
Sie war ein paar Schritte zur Seite gegangen, stand vor der Tür, weinte leise vor sich hin und schüttelte dabei den Kopf.
Ich konnte sie verstehen.
***
Wir waren bis auf den Hof des Geländes der Feuerwehr gefahren und hatten dort auch unseren Wagen abgestellt. Während der Fahrt hatte Carina noch gezögert, ob sie mit zu ihrem Vater gehen sollte, aber nach dem Halt hatte sie sich entschlossen. Sie wollte dabei sein, wenn wir mit Ross Thomas
Weitere Kostenlose Bücher