1176 - Der unheimliche Leichenwagen
wir auch darauf, dass sich der Tag allmählich neigte und einging in die Schattenwelt der Dämmerung.
Beide wussten wir nicht, ob Victor Rossiter ein Problem war. Dass er seinen Betrieb verlassen hatte, stand fest. Und es stand auch fest, dass er nicht zum Jagen gefahren war, sondern sich ein anderes Ziel ausgesucht haben musste.
Aber welches?
Es war müßig, darüber nachzudenken. Wir hätten es sowieso nicht erfahren. Nach einer Flucht hatte es mir nicht ausgesehen, denn Victor hatte kein Gepäck mitgenommen.
Die Tatsache brachte mich wieder auf einen anderen Gedanken. Möglicherweise hatte er doch etwas mit dem Verschwinden einiger Leichen zu tun und war jetzt wieder auf dem Weg, um so etwas in die Wege zu leiten.
Darüber sprach ich mit Suko bei einem Kaffee. Das heißt, mein Freund trank Tee. Wie saßen in einem kleinen Lokal, das als Bistro hätte durchgehen können. Auch in Langster war die moderne Zeit nicht vorbeigegangen, und dieses Bistro hatte sich als Jugendtreff entwickelt.
Draußen war es dunkler geworden. Laternen gaben ihren Schein ab. Das Licht stürzte sich auf die ersten Schatten und riss breite Lücken in sie hinein.
»Wie dem auch sein mag, John«, sagte Suko. »Ich an deiner Stelle würde nicht mehr an die verschwundenen Leichen denken, weil es wichtiger ist, diesen Valentin Rossiter zu stellen.«
»Einen ketzerischen Mönch.«
»Es wäre nicht der erste.«
»Klar.« Ich strich durch mein Haar. »Aber dieser hier ist anders, Suko. Bisher hatten wir es mit Mönchen zu tun, die sich mit den Mächten der Finsternis verbündet hatten. Ob das bei ihm zutrifft, glaube ich nicht.«
»Warum nicht?«
»Er war überdurchschnittlich begabt. Er war verdammt intelligent. Ein kleiner Einstein, was damals nur nicht in die Öffentlichkeit gelangte, weil man es vom Kloster aus nicht wollte. Da hat man ihn lieber in die Verbannung geschickt.«
»Glaubst du denn, dass das eine das andere ausschließt?«
Ich grinste schief. »Du hörst dich an, als würdest du nicht daran glauben.«
»So ist es, John. Ich könnte mir beides in einem Verbund vorstellen, wenn ich ehrlich bin.«
Ich trank den Rest von meinem Kaffee, der noch mit Amaretto veredelt worden war. »Tut mir leid, aber das musst du mir bitte mal erklären.«
»Wir gehen doch davon aus, dass Valentin mit der Zeit gearbeitet hat, nicht wahr?«
»Stimmt.«
»Ich will nicht danach fragen, was die Zeit ist und über keine relative Größe nachdenken, aber es kann durchaus sein, dass sie nicht gradlinig verläuft.«
»Hm.«
»Dass sie gewisse Seitenstränge hat.« Suko streckte dabei seine Arme aus. »Zeitstraßen, die von der Geraden abgehen, hinein in andere Dimensionen, was wir schließlich auch erlebt haben, wenn wir diese Reisen unternahmen.«
Er wartete auf meine Antwort, die ich allerdings als Frage formulierte. »Was hat das genau mit Valentin zu tun?«
»Ist doch einfach. Er ist auf eine dieser Seitenstraßen der Zeit abgebogen, und so hat er es geschafft, die Vergangenheit in die Gegenwart zu holen. Du hast selbst den Dichter zitiert, der behauptet, dass alle drei Ebenen oder Zustände zugleich existieren.«
»Daran könnte ich mich sogar gewöhnen.«
»Super. Und ich kann mich mit dem Gedanken anfreunden, dass dieser Valentin durch eine Seitenstraße der Zeit ein bestimmtes Ziel erreichen kann.«
»An welches denkst du?«
»Auch an die Hölle!«
Ich lächelte etwas versonnen. »Passt gut. Leichenwagen zur Hölle.«
»Du siehst das sehr locker.«
»Noch, Suko. Außerdem fehlen uns die Beweise. Erst wenn wir sie haben, können wir weiterreden.«
»Deshalb sollten wir uns langsam in Bewegung setzen.«
Der Meinung war ich auch. Zudem fühlte ich mich leicht frustriert. Wir hatten bisher nur reagieren können, und das passiert einem Polizisten ja oft. Außerdem wollte mir die schreckliche Familientragödie nicht aus dem Kopf. Sie war zwar Vergangenheit, aber wir hatten sie noch als Zeugen erleben können, als sich die Zeiten ineinander geschoben hatten. Und das nur, weil jemand die Gegenwart für sich ausnutzen wollte, obwohl er aus der Vergangenheit stammte.
Nein, ich hatte keine Lust mehr, noch stärker darüber nachzudenken. Ich wollte mich nicht damit belasten und hoffte inständig, auf der Straße zwischen den beiden Orten Langster und Beckton zumindest einen Teil der Lösung zu finden…
***
Wir waren die Strecke schon einmal gefahren, dennoch kam sie uns nicht bekannt vor. Suko und ich stuften sie nach wie vor als
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