1176 - Der unheimliche Leichenwagen
Wagentür zu. Keiner hatte ihm etwas gesagt, trotzdem folgte er dem schwarzhaarigen jungen Mann, der auf den Leichenwagen zuging.
Jetzt erst erkannte Rossiter, dass der Abstand zwischen den beiden Fahrzeugen größer war, als es beim ersten Hinsehen den Anschein gehabt hatte.
Victor ging normal. Und trotzdem fühlte er sich nicht in der Normalität. Dieser Druck hatte sich zwar abgeschwächt, ohne ganz verschwunden zu sein. Für ihn hatte es den Anschein, als hätte sich die Luft verändert und wäre dichter geworden.
Fast wie dünner Schleim…
Der Elvis-Verschnitt blieb neben dem Leichenwagen stehen. Victor schaute über das Fahrzeug hinweg. Noch immer war die Welt vor ihm so seltsam gekrümmt und hatte auch seine eckigen Formen verloren. Sie war in ein Oval eingetaucht, für dessen Existenz er nicht die Spur einer Erklärung hatte.
Der Schwarzhaarige war nicht mit dem Anrufer identisch. Victor kannte dessen Namen nicht, aber es war kein Rossiter, das auf keinen Fall. Zitternd wartete er ab, was passieren würde. Und es würde etwas geschehen, davon war er überzeugt.
Der andere sagte auch weiterhin nichts. Er hatte den Kopf gedreht und schaute über die Kühlerschnauze hinweg hin zum Aufbau, wo sich der dunkle Sarg abmalte.
Und dort bewegte sich der Deckel!
Von innen her erhielt er Druck. Es lag jemand darin, aber es war keine Leiche.
Den Schwarzhaarigen hatte Rossiter vergessen. Aus weit aufgerissenen Augen bekam er mit, wie der Sargdeckel fast kippte, aber eine bleiche Hand, die sich aus dem unteren Teil hervorschob, war schneller und fing ihn auf.
Sie legte ihn zur Seite, so dass er hochkant auf dem Sitz stand. Dann verließ die Gestalt den Sarg.
Victor Rossiter tat nichts. Er konnte einfach nur staunen und mit seinen starren Blicken diesen unheimlichen Vorgang verfolgen. So etwas, was da passierte, kannte er nur aus irgendwelchen Gruselfilmen.
Die Gestalt wallte hervor. Zumindest sah es so aus. Das war kein normales Aus-dem-Sarg-Steigen.
Die Gestalt kroch, und dabei bewegte sich der Stoff der Kleidung.
Sekunden später sah Victor Rossiter, wer da aus dem Sarg gestiegen war.
Ein. Mensch in einer Kutte - ein Mönch!
Aber den Ausdruck Mensch wollte er auch bei dieser Gestalt nicht gelten lassen. Bei einem Menschen hätte er ein Gesicht erkennen müssen, das war bei dem Mönch nicht der Fall. Auch wenn er die Kapuze über den Kopf gezogen hatte, sein Gesicht hätte sich abzeichnen müssen, doch da gab es nichts. Nur diesen bleichen Fleck, der innerhalb der braunen Kapuze schwamm.
Ein Mönch - ein Mönch!
Immer wieder schwirrte ihm dieser Begriff durch den Kopf. Dabei hatte er etwas tief in seiner Erinnerung ausgelöst. Das Auftreten des Mönchs musste etwas mit den Rossiters zu tun haben, und allmählich klärte sich sein Gedächtnis.
Valentin Rossiter!
Er war der Schandfleck in der Ahnenreihe gewesen. Er hatte zwar das Gemetzel überstanden, aber immer blieb auch bei solchen Leuten etwas zurück.
Victor stöhnte auf. Durch seinen Körper rannen Schlieren aus Kälte und Hitze. Sie umklammerten sein Herz und auch die Lunge. Sie erschwerten ihm das Atmen, und er hörte sich röcheln. Valentin war in ein Kloster gekommen, so hatte man es berichtet. Was dann mit ihm passiert war, wusste niemand so genau. Er musste etwas Schreckliches getan haben, sonst wäre er nicht mit Schimpf und Schande aus dem Kloster gejagt worden.
Er hätte längst tot sein müssen. Ja, schon lange!
Diese Gedanken rasten plötzlich durch seinen Kopf. Victor spürte, wie ihn das große Zittern überkam. Er riss den Mund auf, er schnappte nach Luft und brachte zugleich seine Mossber-Flinte in Anschlag, um auf die Gestalt zu zielen, die dabei war, den alten Leichenwagen zu verlassen.
Sie kam auf ihn zu.
Der Elvis-Verschnitt stand abseits. Er schaute ins Leere, schien gedanklich nicht präsent zu sein.
Aber der Mönch war es.
Und Victor spürte genau, wie von dieser unheimlichen Gestalt etwas ausströmte, das er als eine tödliche Kälte wahrnahm. Sie erreichte ihn, sie drang sogar in ihn ein. Sie wollte sein Inneres umklammern und würde ihn vereisen.
»Nein!«, brüllte er.
Seine Stimme hinterließ kein Echo. In der dichten Luft wurde sie aufgefangen.
»Neinnn…!«
Dann schoss er.
Rossiter war tatsächlich ein Jäger. Er hatte das Schießen gelernt. Auf diese kurze Entfernung schoss er nicht vorbei. Er hatte zwar noch nie auf einen Menschen gezielt, aber das war ihm jetzt egal. Diese Gestalt, die es eigentlich
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