1176 - Der unheimliche Leichenwagen
nicht geben konnte, musste einfach ausradiert werden.
Aus dieser kurzen Entfernung hatte die Kugel eine große Durchschlagskraft. Sie hieb in den »Körper« hinein, sie riss ein Loch in die Kleidung und in das Fleisch. Sie hätte einen Teil der Brust zerfetzen müssen, das alles lag so klar auf der Hand, und es trat auch ein.
Nur starb die Gestalt nicht!
Auch die Kugel schien nicht so schnell geflogen zu sein. Als wäre sie durch die Luft in ihrer Geschwindigkeit gedrosselt worden, weil der Widerstand einfach zu groß war.
Der Mönch blieb stehen. Keine Verletzung, kein Loch. Oder hatte sich alles wieder geschlossen?
Hier herrschten Gesetze, die Victor Rossiter nicht nachvollziehen konnte. Die Dinge wurden auf den Kopf gestellt. Victor fühlte sich in einer mörderischen Zeit gefangen. Er wusste nicht, ob er die Gegenwart erlebte oder ob die Vergangenheit so verdammt real zurückgekehrt war.
Er schoss noch einmal!
Die Mossber-Flinte ruckte leicht, obwohl er sie mit beiden Händen hart festhielt.
Die Kugel hatte getroffen, aber der Mönch ließ sich nicht beirren. Er kletterte über die offene Wagentür hinweg und ließ sich durch nichts von seinem Ziel ablenken.
Das war Rossiter!
»Valentin?«, hauchte er ihm entgegen und dachte wieder an den seltsamen Anruf.
Sah er ein Lächeln in der grauen Gesichtsmasse? Genau konnte er es nicht ausmachen, aber es war schon eine Reaktion vorhanden. Und der Mönch kam noch näher an ihn heran. Dann war er so dicht bei ihm, dass er ihn berühren konnte.
Das tat er auch.
Victor Rossiter brüllte vor Schreck auf, als ihn die kalte Totenhand am Arm berührte.
Die kalte Hand glitt an seinem Körper aufwärts, bis sie den Hals erreichte und dort zufasste.
Es war der Griff eines Killers. Mörderisch und brutal. Sofort wurde Victor die Luft knapp. Obwohl er noch mal den Mund aufriss, gelang es ihm nicht, Atem zu holen.
Die andere Kraft war stärker. Die Hand umspannte seinen Hals und hob Victor in die Höhe. Er schwebte über dem Boden und trat mit den Beinen aus. Aus dem offenen Mund drangen die röchelnden Laute. Sehr bald schon verschwammen die Umrisse vor seinen Augen. Das Gehirn erhielt keinen Sauerstoff mehr. Bald würde er bewusstlos werden.
Diesen Zustand ließ der Mönch nicht eintreten. Er war nach einer Drehung bis dicht an den Wagen getreten, hob sein Opfer noch mal an und drückte es auf den Sitz neben dem großen Lenkrad.
Dann stieg er selbst in den Leichenwagen.
Gierig schnappte Victor nach Luft.
Alle Geräusche vernahm er weniger deutlich als im Normalzustand. Er hörte, wie ein Anlasser unruhig tuckerte. Der Motor hatte Schwierigkeiten, anzuspringen. Der gesamte Wagen geriet in Schwingungen, und Victor wurde durchgeschüttelt.
Dann fuhr der Leichenwagen an. Er drehte sich fast auf der Stelle. Er rollte die Straße entlang und jagte hinein in das Oval und damit auch in eine andere Dimension…
***
Der Mensch auf dem Beifahrersitz begriff nicht, was mit ihm geschah. Er klammerte sich in wilder Verzweiflung fest. Aus großen, glanzlosen und schockgeweiteten Augen starrte er nach vorn, wo die normale Welt ihr Aussehen verändert hatte.
Es gab die Straße nicht mehr. Er sah auch den Wald nicht. Das Buschwerk, die Wiesen, all das war verschwunden. Er konnte nur nach vorn blicken, wo sich die »Straße« plötzlich verengte. Ein nie gesehenes Farbenspiel tauchte auf. Rote, grüne und gelbe Schlieren mischten sich zusammen. Sie wurden zu Schlangenlinien, die ineinander huschten, die sich verbanden, die sich dann wieder entflochten und von einer fremden Kraft getrieben auf ein bestimmtes Ziel hin wehten, auf das sich auch der Leichenwagen eingeschossen hatte.
Das Ziel bestand aus Feuer!
Grellrot und zuckend Gelb. Eine gewaltige, furchtbare Flammenmaschine, die den Eingang zu einer anderen Welt bildete.
Durch den Kopf des Beifahrers rasten fremde Gedanken, die so fremd nicht waren, denn sie gehörten irgendwie auch zu einem normalen Dasein.
Victor Rossiter wusste, dass es kein normales Feuer war. Das war das Feuer der Hölle, in dem sich der Teufel badete. Und er raste genau darauf zu.
Hölle!, schrie es in ihm. Ich bin in der Hölle. In der verdammten Hölle…
Es war sein letzter Gedanke. Er sah noch die furchtbaren Fratzen und Gestalten im Feuer auftauchen, dann raste der Leichenwagen direkt in die Hölle hinein…
***
Suko und ich hatten uns noch etwas Zeit mit der Abfahrt gelassen. Erstens wollten wir nichts überstürzen, und zweitens warteten
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