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1177 - Der Weg in die Unterwelt

1177 - Der Weg in die Unterwelt

Titel: 1177 - Der Weg in die Unterwelt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jason Dark
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saß, die Ruder angezogen hatte und zur Hütte hinschaute. Die Frau hatte blonde Haare, ihr Gesicht konnten wir nicht erkennen, und sie bewegte sich auch nicht. Sie schaute nur auf ihre am Ende des Stegs stehende Tochter, die ebenfalls ihren Blick nicht von der Mutter abwenden konnte.
    Bill und ich waren für sie zur Nebensache geworden. Was auch verständlich war, ebenso wie Melodys Freude. Sie hüpfte auf der Stelle, sie winkte der Mutter zu und wartete darauf, dass diese ein Zeichen zurückgab.
    Genau das passierte nicht. Ungewöhnlich steif blieb die Frau in ihrem Boot sitzen. Sie dachte nicht mal daran, ihren Kopf zu drehen, geschweige denn zu winken. Die Person wirkte wie in den See hineingesetzt, und das konnte uns nicht gefallen.
    »Lebt sie überhaupt?«, flüsterte Bill mir zu.
    »Keine Ahnung.«
    »Mir kommt sie unecht vor. Die anderen müssen irgendwas mit ihr angestellt haben.«
    Melody gab nicht auf. »Mummy, Mummy!«, rief sie immer wieder. »Ich bin es. Ich bin gekommen. Ich wollte dich besuchen. Komm doch her! Komm her zu mir!«
    In ihrer Stimme schwang die Verzweiflung mit, die sie empfand, aber Grace Turner rührte sich nicht. Auch weiterhin blieb sie wie eine Steinfigur sitzen. Dass sich das Boot leicht bewegte, lag nicht an ihr, sondern am leichten Gekräusel der Wasserfläche.
    »Da ist einiges nicht okay«, flüsterte Bill mir zu. »Sie kann sogar ein Geist sein.«
    »Möglich.«
    Wir hätten noch länger diskutiert, aber Melodys Stimme lenkte uns ab. Sie tanzte auf dem Steg, sie winkte, sie schrie ihrer Mutter immer wieder etwas zu, ohne eine Reaktion zu erhalten. Schließlich ließ sie es bleiben, und ihre Arme sanken nach unten. Obwohl wir nur gegen den Rücken schauten, kam sie uns erschöpft und deprimiert vor.
    »Warum kommst du denn nicht?«, brüllte sie noch mal über das Wasser hinweg.
    Grace Turner blieb stumm.
    »Warum sagst du denn nichts?«
    Wieder gab die Frau im Boot keine Antwort.
    Dafür sprach ich das Kind an. »Es hat keinen Sinn, Melody, deine Mutter will nicht mit dir reden.«
    »Doch, doch, doch! Sie muss es aber!« Wieder trampelte sie. Diesmal mit beiden Füßen.
    »Wir sollten sie zurückholen«, schlug Bill vor.
    Daran dachte ich auch, aber Bills Wunsch war zu spät erfolgt. Melody hatte sich längst entschieden.
    Zu lange hatte sie schon auf ihre Mutter verzichten müssen. Jetzt, wo sie Grace mit eigenen Augen sah, wollte sie das nicht mehr.
    Bevor wir eingreifen konnten, zuckte sie einmal zusammen. Sie ging dabei in die Knie, und einen Moment später stieß sie sich ab. Mit vorgestreckten Armen und im Halbbogen flog sie auf die grünschwarze Wasserfläche zu.
    Auch wenn Bill und ich vorliefen, wir kamen trotzdem zu spät. Der Sprung zeigte uns, wie gut Melody ihn geübt hatte. Und sie war auch eine tolle Schwimmerin, denn als wir das Ende des Stegs erreicht hatten, da war bereits eine größere Entfernung zwischen uns und Melody entstanden.
    »Die Kleine ist verrückt!«, zischte Bill.
    Ich ging nicht darauf ein. »Bleib du hier«, sagte ich nur.
    »Was machst du?«
    Eine akustische Antwort bekam er von mir nicht. Ich schleuderte meine Jacke auf den Steg, nahm keinen Anlauf, sondern sprang von der Kante aus kopfüber in das Wasser…
    ***
    Eine derartige Situation war nicht neu für mich. Ich hatte sie schon zu oft erlebt, um noch großartig darüber nachzudenken. Nur bei einem passte ich sehr genau auf. Ich achtete darauf, dass ich nichts von dieser dunklen Brühe trank und mir den Mund damit ausspülte.
    Flach war ich gesprungen und auch untergetaucht. Dabei hatte ich den Eindruck, mit den Händen über den Grund gestreift zu sein. Nur für einen Moment waren die Finger durch die Matsche geglitten, dann tauchte ich schon wieder auf, schleuderte mir das Wasser aus den Haaren und gönnte mir einen kurzen Blick nach vorn.
    Innerhalb einer Sekunde stellte ich fest, dass es für mich nicht mehr möglich war, Melody Turner einzuholen. Sie war nicht nur eine gute, sondern auch eine schnelle Schwimmerin. Meiner Schätzung nach hatte sie die Hälfte der Strecke bereits hinter sich gelassen und schwamm mit zügigen Kraulstößen dem Ziel entgegen.
    Dennoch gab ich nicht auf. Ich wollte auch an das Boot heran und beeilte mich.
    Zwar wurde ich von der Kleidung behindert, doch das störte mich nicht. Wie eine Maschine durchpflügte ich das Wasser und versuchte immer wieder einen Blick auf das Boot zu werfen, was mir aufgrund des hochgeschleuderten Wassers nicht immer leicht

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