1178 - Lisas Totenruf
Bewegung gesetzt, um sie zu finden, doch es ist uns nicht gelungen.«
»Wie lange ist sie schon weg?«
»Seit etwa vier Wochen.«
»Das ist nicht wenig.«
»Genau das meine ich auch, Mr. Sinclair.«
»Tja.« Ich hob meine Schultern. »Ich möchte Ihnen ja nicht zu nahe treten, Sofia, aber haben Sie schon daran gedacht, so schlimm es auch ist, dass Lisa nicht mehr am Leben sein könnte?«
»Habe ich!«
»Und?«
Sie schaute mich hart an. »Nein, Mr. Sinclair, Lisa ist nicht tot. Auf keinen Fall.«
»Das wissen Sie genau?«
»Ja!«
»Woher?«
»Ich spüre es«, erklärte sie. »Ich merke genau, dass sie noch lebt. Vergessen Sie nicht, wer ich bin. Man nennt mich nicht grundlos das lebende Orakel. Aber auch ich bin nicht allmächtig. Ich weiß nicht alles. Ich habe nur Angst um Lisa. Und deshalb habe ich mich mit Ihnen in Verbindung gesetzt.«
»Was heißt, dass ich Lisa suchen und finden soll.«
»Sie haben es erfasst.«
Dass mein Besuch darauf hinauslaufen würde, damit hatte ich wirklich nicht gerechnet. Deshalb schaute ich für einen Moment zu Boden und dachte daran, was meine Kollegen bei Vermisstenanzeigen unternahmen. Es war ein Fall für sie und nicht für mich.
Sofia schien Gedanken lesen oder erraten zu können. »Sie sehen aus, als würden Sie mir nicht glauben.«
»Moment, das ist nicht der Fall. Nur denke ich, dass ich nicht der Richtige bin. Sie müssen sich schon an eine andere Institution wenden, Sofia. Wenn Sie jemand vermissen, ist eine bestimmte Abteilung dafür zuständig.«
»Bei Lisa ist das anders.«
»Wieso?«
»Sie ist nicht mit den normalen Menschen zu vergleichen. Das habe ich Ihnen schon gesagt.«
»Ja, stimmt schon. Sie liebt Friedhöfe und…«
»Die auch gefährlich sein können«, fiel mir Sofia ins Wort. »Das wissen Sie selbst.«
Ich konnte ein leises Lachen nicht unterdrücken. »Und wissen Sie auch, wie viele Friedhöfe es in London und Umgebung gibt? Wissen Sie, was das bedeutet, sie durchsuchen zu müssen? Das kann ich nicht allein, das würde einen Apparat in Bewegung setzen, der…«
»Sie sagen mir nichts Neues, Mr. Sinclair. Aber jeder, der ein Hobby hat, liebt gewisse oder bestimmte Inhalt seines Hobbys ganz besonders. So ist es Lisa mit einem bestimmten Friedhof ergangen, den sie öfter besuchte. Er liegt etwas außerhalb der Stadt in einem leicht hügeligen Gelände. Nicht unbedingt in der Einsamkeit, denn es gibt genügend Wohnhäuser in seiner Umgebung, aber er ist trotzdem etwas Besonderes und fast ein Museumsstück.«
»Das hört sich an, als hätten Sie ihn schon einmal untersucht oder durchkämmt.«
»Einmal?« Diesmal lachte sie. »Wir haben es immer und immer versucht, aber es gab kein Ergebnis. Das ist leider so, und jetzt sind Sie unsere letzte Hoffnung.«
»Warum sind Sie so scharf darauf, Lisa zu finden? Nur weil Sie die junge Frau als ihr Kind ansehen?«
»Ja. Aber glauben Sie mir. Für jeden in der Sitte hätte ich das Gleiche getan. Bei Lisa ist das trotzdem etwas anderes. Ich habe sie aufwachsen sehen. Zudem ist sie ein Findelkind gewesen. Ob Sie es glauben oder nicht, wir haben sie auf einem Friedhof gefunden. Man hatte sie als Baby dort ausgesetzt.«
»Das erklärt vielleicht einiges.«
»Sie sind meine letzte Hoffnung, Mr. Sinclair. Ich weiß, was Sie alles geleistet haben. Manchmal spricht sich ein gewisser Ruhm auch herum. Dazu braucht man nicht unbedingt in den Zeitungen zu stehen. Gewisse Menschen haben dafür einen Blick. Stimmen Sie zu, Mr. Sinclair?«
»Und wenn nicht?«
»Würde ich das sehr tragisch finden. Noch habe ich Hoffnung, aber sie wird immer geringer.«
»Wie heißt der Friedhof?«
Sie nannte den Namen.
»Wo liegt er?«
Es war tatsächlich ein Ort außerhalb der Stadt. Mehr zum Süden hin, wo das Gelände schon leicht wellig war, ohne als Hügellandschaft bezeichnet werden zu können.
»Sie werden es tun, Mr. Sinclair?«
»Ich denke schon.«
»Das vergesse ich Ihnen nie.« Sofia war erleichtert. »Und noch etwas möchte ich Ihnen zeigen.« Sie griff in die Falten ihres Kleides, in denen sich auch eine Tasche verbarg. Aus ihr holte sie ein Foto hervor und schob es mir über den Tisch hinweg zu. »Das ist sie, Mr. Sinclair.«
Ich nahm es an mich und betrachtete das Gesicht der jungen Frau. Das blonde Haar umrahmte den Kopf. Das Gesicht war leidlich hübsch, eben eine normale junge Frau, ohne als Mannequin-Schönheit zu wirken. Sie trug ein rotes Kleid, das bis über die Waden hinwegreichte.
»Es war
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