1178 - Lisas Totenruf
transportable Baubude. Auch deren Tür war geschlossen, ebenso wie der Eingang zum Friedhof. Das große Eisentor mit den beiden Hälften verwehrte uns den Weg, aber es würde nicht schwer sein, es zu überklettern.
Wir hatten schon einen Blick durch die Zwischenräume auf das Gelände werfen können. Es war nicht ungewöhnlich. Ein schöner, alter und auch romantischer Friedhof, der am Hang lag. Die Grabsteine wichen von den meisten ab, die man normalerweise zu Gesicht bekam. Sie waren oft sehr groß und bestanden aus Figuren, die irgendwelche Engel oder Schutzheilige darstellen sollten.
Dazwischen wuchsen hohe Laubbäume und auch dichte Büsche, deren Blätter wie eingeölt schimmerten.
»Was sagst du?«, fragte ich meinen Freund.
»Was willst du denn hören?«
»Ist das ein Gelände für Ghouls?«
»Das ist jeder Friedhof irgendwie.«
»Auch für Menschen.«
»Meinst du diese Lisa?«
»Ja.«
»Nein, glaube ich nicht. Ich kenne sie ja nicht, aber freiwillig würde ich mich hier nicht vier Wochen lang aufhalten.«
»Und unfreiwillig?«
Suko zuckte die Achseln. »Ich kann mir nicht vorstellen, dass alles so stimmt, was dir diese Sofia erzählt hat. Es kommt mir alles seltsam vor. Ich habe zumindest das Gefühl, dass wir benutzt werden, um für andere die Kastanien aus dem Feuer zu holen.«
»Das sind wir doch gewohnt.«
»Klar, aber ich ärgere mich, wenn ich es so präsentiert bekomme. So auffällig.«
»Stimmt auch wieder.«
Ein Geräusch schreckte uns auf. Hinter uns war es aufgeklungen, und wir drehten uns zugleich herum.
Die Tür der Baubude hatte sich geöffnet und einen Mann entlassen, der eine doppelläufige Schrotflinte in den Händen hielt, mit ihr auf uns zielte und dabei näher kam.
»Bewegt euch nicht, sonst seht ihr nachher aus wie Hackfleisch!«
Das wollten wir nicht. Wir hoben sicherheitshalber die Arme und schauten uns von der Seite her an, denn dieses Spiel verstanden wir nicht so recht.
Der Mann blieb in einer perfekten Distanz vor uns stehen und nickte kurz. »Also ihr seid dafür verantwortlich, dass Menschen verschwinden.«
Suko und ich verstanden nur Bahnhof. Wir schauten uns den Kerl an, der eine kurze fleischfarbene Lederjacke trug.
Sein Gesicht wurde von einem grauen Bart umrandet. Auf dem Kopf saß eine graue Baseballkappe.
Er wirkte stämmig, war kräftig gebaut und seine Füße steckten in Schnürstiefeln.
»Welche Menschen sind verschwunden?«, fragte Suko.
»Zwei. Zwei alte Frauen. Eine dritte konnte entkommen.«
»Und weiter?«
»Nichts weiter. Die beiden Verschwundenen kehrten nie zurück. Das alles passierte in den letzten Wochen. Eine davon war meine Mutter. Ich will endlich Gewissheit haben, was mit ihr passiert ist. Ich will sie beerdigen und richtig Abschied nehmen können, verstehen Sie? Aber sie kehrte nicht zurück, verdammt. Auch die Polizei hat sie nicht gefunden, obwohl der Friedhof abgesucht wurde. Nur glaube ich den Bullen nicht. Sie haben es sich einfach zu leicht gemacht.«
Ich musste lachen. »Jetzt denken Sie, dass wir an den Tatort zurückgekommen sind, um weitere Menschen verschwinden zu lassen.«
»Ja. Und meine Wache hat sich gelohnt.«
»Hören Sie, das ist doch Unsinn.« Ich wollte meine Hand bewegen, aber der Typ schrie mich an, es nicht zu tun. Deshalb stand ich still.
»Ja, das glaube ich. Sie und die Blonde, ihr arbeitet zusammen. Ich kenne sie nicht, aber ich weiß, dass es sie gibt.«
Plötzlich standen wir mit beiden Füßen im Fall. Der Mann hatte von einer Blonden gesprochen. Von Sofia wusste ich, dass auch Lisa blonde Haare hatte. Das konnte einfach kein Zufall sein. Es gab Zusammenhänge.
»Wie wäre es denn, wenn wir vernünftig miteinander reden. Es kann sein, dass Sie Ihren objektiven Blick verloren haben. Wir haben mit dem Verschwinden der Frauen nichts zu tun und demnach auch nichts mit dieser blonden Frau.«
»Das glaube ich nicht. Was hätten Sie sonst um diese Zeit hier verloren?«
»Können Sie sich vorstellen, dass auch wir daran interessiert sind, das Verschwinden der Frauen aufzuklären und vielleicht gekommen sind, um diesen blonden Lockvogel zu finden?«
»Nein, das kann ich nicht.«
»Warum nicht?«
»Sie sind fremd hier. Sie gehören nicht in diese Gegend. Sie sind daran beteiligt und…«
»Scotland Yard«, sagte Suko.
Der Mann hatte ihn gehört. Er schüttelte trotzdem den Kopf. »Was hat Scotland Yard damit zu tun?«
»Wir gehören dazu!«
Der Mann mit der Kappe und dem Gewehr glaubte uns
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