1178 - Lisas Totenruf
Nur hin und wieder ein Rascheln, wenn Blätter vom Wind über den Boden getrieben wurden.
Auf der anderen Seite sahen wir den Hügel. Er stieg dort an. Erst bei genauerem Hinsehen war zu erkennen, dass sich auch dort Gruften befanden. Manche davon waren recht groß. Sie glichen tatsächlich kleinen Häusern.
Um diese Seite zu erreichen, mussten wir über Wege und Treppen gehen. Je höher wir dann kamen, um so besser würde unser Blickfeld werden. Wir blieben zunächst noch zusammen. Auf der Hälfte der Strecke - es war ein ziemlich gerades und auch breites, von Gräbern und Grabsteinen umgebenes Plateau - blieben wir auf einer mit Kies bestreuten Lichtung stehen, zu der auch vier Bänke und ein Wasserbecken gehörten. Ein sanfter Wind strich über den Friedhof hinweg. Jenseits der Bäume schimmerte der Himmel noch hell. Hier unten aber war es schon recht dunkel geworden. Wir würden bald unsere Lampen einsetzen müssen, um besser sehen zu können.
Burt Goldman stand so, dass Suko und ich ihn anschauen konnten. Er wirkte etwas verlegen und meinte: »Tut mir leid, dass ich Ihnen nicht das präsentieren kann, was ich gesehen habe. Ich hätte es mir gern anders vorgestellt, aber mit des Geschickes Mächten ist eben kein Bund zu flechten.«
»Keiner macht Ihnen einen Vorwurf«, sagte ich. »Seien Sie ganz unbesorgt, Mr. Goldman. Wir werden schon finden, wonach wir suchen.«
»Nach der Blonden?«
»Ja und…«
Die nächsten Worte wurden mir von den Lippen gerissen, weil wir das hörten, was wir hier nicht erwartet hatten.
Schüsse!
Keiner von uns bewegte sich. Wie vereist wirkten wir und blieben auf der Stelle stehen. Ich spürte meinen eigenen Herzschlag und glaubte, das Echo im Kopf zu hören.
Zwei- oder dreimal war geschossen worden, und wir wussten auch, wo die Schüsse gefallen waren.
Oben, im besseren Teil des alten Friedhofs.
Viel zu reden brauchten wir nicht. Wir verstanden uns auch ohne Worte. Es gab kein Halten mehr für uns…
***
Mario Serrano wischte mit seiner freien Hand über die Augen. Als er sie wieder sinken ließ, sagte er mit leiser Stimme: »Verdammt, Cesare, sag mir, dass ich träume.«
»Nein, du träumst nicht.«
»Sie ist wirklich da?«
»Klar ist sie das.«
Curzi wollte kichern. Er musste sehr schnell einsehen, dass er das nicht schaffte. Obwohl er seinen Revolver in der Hand hielt, war das Gefühl der Sicherheit, das ihm die Waffe gab, seit einigen Sekunden verschwunden.
Zu plötzlich war die Blonde erschienen, und er sah ihr Auftauchen auch als unheimlich an. Für ihn war das nicht normal. Dass sie lebte, schor, aber wie war es ihr gelungen, aus dem verdammten Totenhaus zu entkommen?
Serrano hatte seinen ersten Schock überwunden. Er dachte wieder logisch. Ohne die Blonde aus den Augen zu lassen, flüsterte er seinem Kumpan zu: »Schau dich mal um, ob du noch irgendwo eine Gestalt siehst.«
»Wie meinst du das?«
»Den Helfer, verdammt! Oder hast du vergessen, dass die Tussi befreit worden ist?«
»Nein, nein, das habe ich nicht.«
»Dann halte die Augen auf.«
»Und was willst du tun?«
Mario Serrano grinste scharf. »Ich werde mich um unsere blonde Freundin kümmern und ihr einige Fragen stellen.«
»Okay, tu das. Aber pass auf.«
»Wieso?«
»Ich traue ihr nicht.«
»Das kannst du laut sagen.« Serrano hob seine Waffe an und schien sie küssen zu wollen. Am liebsten hätte er es mit einer schnellen Kugel versucht. Auf der anderen Seite war er neugierig, wie die Blonde, deren Namen er vergessen hatte, es geschafft hatte, dem Totenhaus zu entkommen.
Sie tat nichts, als er sich ihr näherte. Stand nur da und schaute ihm entgegen. Auf dem Platz zwischen den Grabsteinen wirkte sie wie ein verlorener und vom Himmel gefallener Engel, der noch nicht den Weg zurück nach Hause gefunden hatte.
Je näher Serrano herankam, um so mehr wunderte er sich. Sie hatte sich nicht verändert und sich nicht mal umgezogen. Noch immer trug sie das rote Kleid, auch die Schuhe waren die gleichen. Das alles machte ihn durcheinander und irgendwie verlegen. Sogar eine gewisse Furcht baute sich in ihm auf. Er konnte sich vorstellen, dass diese Person in den vier Wochen auf dem Friedhof einiges durchgemacht hatte, was von einem Menschen nicht so einfach verkraftet wurde. Und sie zeigte keine Angst. Sehr gelassen schaute sie ihm entgegen. Den Platz hatte sie nicht verändert, ebenso wie ihre Haltung nicht. Irgendwie locker lehnte sie mit der linken Seite an dieser Grabstein-Pyramide.
Wobei
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