1181 - Baphomets Blutgeld
Beobachter und nicht wie ein Akteur, der mitten im Zentrum stand. Er hörte sein eigenes Herz überlaut schlagen, während er fassungslos auf dem Fleck stand und weiterhin nach vorn schaute. Er war nicht einmal in der Lage, seine Augen zu schließen, und so bekam er alles mit.
Der abgeschlagene Kopf war mit einem dumpfen Laut auf dem Boden gelandet. Er war dort kurz aufgeprallt und ein Stück weitergerollt. Der Körper stand noch auf den Beinen, als hätte man ihn auf dem Fleck kurzerhand festgenagelt.
Schattenhaft sah er Joel, der diesen Schlag so zielsicher geführt hatte. Leon konnte erkennen, dass der Junge den Säbel mit beiden Händen am Griff festhielt und auch bereit war, wieder zuzuschlagen. Er stand dort breitbeinig. Sein Blick fiel in den anderen Raum hinein. Er suchte seinen neuen Freund.
Dann kippte der Torso!
Er fiel langsam um. Zur rechten Seite hin war er gebeugt, aber er hatte keinen Stoß erhalten. Es war ihm einfach nicht möglich, sich auf den Beinen zu halten.
Wuchtig prallte er auf. Der Boden bestand aus glattem Beton. Da lag nicht mal ein Teppich. Das Material war nur mit einer blassen Ölfarbe bestrichen worden.
Auf der Seite blieb der Tote liegen. Nicht mal weit entfernt von seinem Kopf. Es war Zufall, dass er den rechten Arm ausgestreckt hielt, ebenso wie die Hand. Deren gestreckte Finger schienen nach dem Kopf greifen zu wollen.
Die Gefahr war vorbei. Auch der letzte der beiden unheimlichen Angreifer lebte nicht mehr.
Leon war wie erstarrt. Er tat auch nichts, als Joel sich umschaute. Kurz nur, dann nickte er, und schließlich steckte er seinen Säbel wieder zurück in die Scheide. Er war zufrieden.
Mit kleinen Schritten verließ er seinen Platz im Nebenraum und kam auf den noch immer starr stehenden Leon zu.
Der wusste nicht, was er tun sollte. Er schaute Joel an. Trotz der Starre bewegten sich die Gedanken pfeilschnell.
War Joel ein Killer?
Streng genommen ja, aber er hatte ihm, Leon, auch das Leben gerettet. Wäre er nicht gewesen, hätten ihn die anderen brutal umgebracht. Gnade hatte man von ihnen nicht erwarten können. Das waren ja keine Menschen gewesen, keine richtigen, dachte Leon.
Etwa eine Armlänge von ihm entfernt blieb Joel stehen. Er hatte sich nicht verändert. Sein Gesicht zeigte keine Freude über den Erfolg, aber auch keine Verzweiflung, dass so etwas überhaupt hatte geschehen können.
Er sah richtig gelassen aus - cool wie ein Profi.
Leon wollte ihn ansprechen. Das schaffte er nicht. Joel war ihm durch sein Benehmen einfach über den Kopf gewachsen. Die Gefühle ihm gegenüber konnte er nicht mehr einordnen.
Er fühlte sich wie ein Gefangener und merkte, dass seine Wangen nass geworden waren, weil plötzlich Tränen aus den Augen rannen.
Joel tat nichts. Er ließ ihn weinen. Er ließ ihn auch zittern, und schließlich berührte er ihn an der Brust. Leon zuckte zusammen, blieb aber stehen. Er hörte die Stimme seines neuen Freundes und wunderte sich, wie weich sie klingen konnte.
»Ich weiß, was du durchlebt hast, aber es gab keine andere Möglichkeit, unser Leben zu retten. Es hat uns eine Zeit eingeholt, in der es nur galt zu überleben. Alles andere hast du vergessen können. Das Leben damals bedeutete Kampf, und die Menschen damals sind schon früh durch die Umstände erwachsen geworden. Sie mussten allein zurechtkommen und hatten nicht den Schutz wie heute.«
Leon hörte alles. Er verstand es auch. Er war trotzdem nicht in der Verfassung, eine Antwort zu geben. Sein Blick war auf Joel gerichtet und trotzdem ins Leere. Es gab kein Leben mehr in seinen Augen, und die Lippen waren so fest zusammengedrückt, dass sie einen Strich bildeten. Wenn er über die Worte seines neuen Freundes nachdachte, kam ihm in den Sinn, wie behütet er doch aufgewachsen war. Auch in der Gegenwart gab es genug Mord und Totschlag. Nur waren diese schrecklichen Dinge bisher an ihm persönlich vorbeigegangen. Er hätte sie wirklich nur aus den Medien erfahren.
»Kannst du mich verstehen?«
»Vielleicht.«
Joel lächelte. »Es ist schlimm, ich weiß. Doch da gibt es die Zeit. Und sie hat all das Schlimme mitgebracht, was auch ich erlebt habe. Tut mir leid für dich. Du hast vielleicht Pech gehabt, dass du gerade nicht zum richtigen Zeitpunkt, am Strand gewesen bist und…«
»Sind jetzt beide tot?« fragte Leon dazwischen.
»Ja.«
»Für immer?«
»Bestimmt.«
»Warum haben sie mich und dich töten wollen? Was haben wir ihnen denn getan?«
Joel zuckte die Achseln.
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