1183 - Visionen der Hölle
Hand hielt er das Tuch, mit dem er hin und wieder sein Gesicht abtupfte und auch sonst einen nicht eben glücklichen Eindruck machte.
Er trug einen grauen Anzug - sicherlich Maßanfertigung -, ein schwarzes Hemd und eine graue Krawatte, deren Knoten nicht bis unter den Hals gezogen war; das hätte ihm wohl die Luft abgeschnürt. Sein Gesicht war ebenfalls sehr speckig und passte zum Nacken. Die Haut schien aus mehreren Speckschichten zu bestehen. Wenn er sich bewegte, wabbelte sie. Selbst die Stirn war dicker als die eines normalen Menschen, und auch seine Finger glichen Würsten.
Kleine Augen, ein ebenfalls kleines Kinn und eine Nase, die wie ein dicker Vogelschnabel aussah.
Sir James stellte ihn mir noch mal vor. Ich erfuhr, dass unser Chef und Tom Harding sich aus irgendeinem Club her kannten, und der Besucher in leichte Schwierigkeiten geraten war.
»Wie sehen die denn aus?« fragte ich.
Sir James räusperte sich. »Das ist schwer zu sagen«, gab er zu. »Nichts Genaues weiß man. Aber Mr. Harding ist davon überzeugt, dass es dort, wo er sich aufgehalten hat, nicht mit rechten Dingen zuging.«
»Ja, stimmt auch!«, sagte Harding, dessen Stimme ungewöhnlich rau und auch schrill klang.
»Und wo ist das gewesen, bitte schön?«
Ich hörte Sir James atmen. »Sagen wir mal so, es ist eine etwas diffizile Angelegenheit und nicht für die Öffentlichkeit bestimmt, wobei ich die Familie mit einschließe. Mr. Harding ist ein Mensch, der mit beiden Beinen im Leben steht. Er arbeitet hart, und wer hart arbeitet, muss sich entspannen. Da gibt es verschiedene Möglichkeiten, und nicht jeder ist gleich, wenn Sie verstehen.«
Ja, ich hatte begriffen. Hinzu kam, dass ich Sir James kannte und sein leichtes Lächeln nicht hatte übersehen können. Dieser Harding musste sich dort entspannt haben, was ihm vielleicht Spaß machte, seiner Familie weniger, wenn es dann ans Tageslicht kam.
Ich fing einen Blick meines Freundes Sukos auf, der allerdings seine Gefühle hinter einer ausdruckslosen Miene verbarg.
»Das heißt, es geht nichts aus diesem Raum heraus und an fremde Ohren.«
»Genau.«
»Aber das müssen Sie versprechen!« flüsterte Tom Harding. »Ist das abgemacht.«
»Tom!« sagte Sir James mit einer Stimme, mit der auch ein Vater zu seinem Kind sprechen würde.
»Sie brauchen keine Befürchtungen zu haben. Was hier geredet wird, ist nicht für fremde Ohren bestimmt. Das bleibt unter uns.«
»Ja, ich wollte mich nur noch mal vergewissern. Sonst wäre ich ja nicht zu Ihnen gekommen, Sir James.«
Der Superintendent nickte. »Da Mr. Sinclair jetzt anwesend ist, können wir wieder ins Detail gehen. Sie sollten wirklich nichts auslassen, Tom. Wir sind hier unter uns. Keiner wird Ihnen einen Vorwurf aus Ihrem Verhalten machen.«
Er wischte wieder über seine Stirn. »Ja, das ist gut. Ich wäre auch nicht gekommen, wenn wir uns nicht kennen würden, Sir James, und ich nicht wüsste…«
»Bitte, Tom, es geht nur um die Sache.«
»Ja, natürlich.« Er ließ seine Hand mit dem Tuch sinken. Das Zittern blieb, obwohl die Hand auf seinem Knie zur Ruhe gekommen war. Dann begann er zu erzählen, und diesmal unterbrachen wir ihn nicht. Er holte ziemlich weit aus, sprach davon, dass auch er nur ein Mann war und er sich mit seinen 60 Jahren noch nicht zum alten Eisen zählte.
Allmählich kam er zur Sache und auch zu seinen sogenannten Entspannungen. Aber er schämte sich trotzdem, denn er senkte den Kopf, als er flüsterte: »Es gibt da so etwas wie einen Club, den man betreten kann, um sich etwas Entspannung zu gönnen…«
»Ein Bordell?«, fragte ich.
»Nein!« Die Antwort klang entrüstet. »Nein, das ist es nicht, Mr. Sinclair.«
»Aber etwas Ähnliches, denke ich.«
»Weiß ich nicht. Ich bin nicht mit den Frauen…«, er winkte ab. »Ist auch egal. Ich bleibe bei dem Begriff Club. Er nennt sich Erotic Mirror.«
Im ersten Moment glaubte ich, mich verhört zu haben. Erotic Mirror bedeutet erotischer Spiegel.
Damit konnte ich beim besten Willen nichts anfangen. Das sah auch Harding und fragte: »Sie wissen darüber nicht Bescheid?«
»Nein, Mr. Harding. Was ist mit dir, Suko?«
»Keine Ahnung.«
»Erklären Sie es, Tom, und denken Sie daran, dass alles unter uns bleibt, was hier gesprochen wird.«
»Ja, danke.« Er musste wieder sein Gesicht abwischen. »Man geht also in den Club hinein, ich bin nicht der Einzige, um sich dort Tänzerinnen anzuschauen. Man sieht auf eine Tanzfläche, die an den Rändern mit
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