1186 - Der Henker vom Hamburg Dungeon
kein anderes Ziel als uns.
Ich blieb stehen und war so überrascht, dass ich den Kopf schüttelte.
Der Typ sah wirklich so aus, wie man sich einen Mann vorstellt, dessen Heimat ein Friedhof oder ein ähnliches unheimliches Gelände ist. Er war ganz in Schwarz gekleidet, aber nicht in einem modernen Outfit. Er wirkte wie jemand, der aus einer anderen Zeit gekommen war. Ein enger Anzug, fast schon ein Frack. Ein helles Hemd mit Stehkragen und ein Zylinder auf dem Kopf.
Totengräber oder Friedhofswärter stimmte da schon. Er war sehr groß, was auch an seiner Kopfbedeckung liegen konnte. Nur schwach malte sich das Gesicht ab. Ob die Haut geschminkt oder von Natur aus so blass war, konnte ich nicht feststellen. Ebenso wenig wie sein Alter. Er war bestimmt noch nicht alt. Es lag einzig und allein an der Kleidung, die ihn älter machte.
Der Oberkommissar kannte ihn. Er blieb stehen und nickte ihm zu. »Hallo, Karl!«
»Moin, moin…«
»Gut drauf, wie?«
Karl lachte. »Die Hölle ist geschlossen.«
»Ich weiß.«
»Aber sie soll geöffnet werden.«
»Klar, Karl, sogar für uns. Und ich denke mir, dass du auch dabei sein wirst.«
»Ja, man hat mich gebeten.«
»Und du hast keine Angst?«
Karl verzog den Mund. »Ich bitte Sie. Wovor sollte ich denn Angst haben?«
»Ja, wovor?«
»Sie haben jemand mitgebracht, Herr Knudsen.«
»Ja.« Der Kollege schaute mich an. »Ein Gast aus London. Er will sich auch mal umschauen.«
Karl, der wie ein Totengräber aussah, schaute mich genau an. Ich sah nur einen Teil seiner sezierend wirkenden Augen, aber es kam mir vor, als wollte er mir bis auf den Grund der Seele blicken und herausfinden, wer ich nun wirklich war.
»Wollen Sie rein?«
»Das hatte ich eigentlich vor.«
»Selbstmörder, wie?«
»Überhaupt nicht.«
Karl lachte glucksend. »Sehen Sie sich vor. Manchmal ist die Hölle nicht nur eine menschliche Erfindung. Sie hält immer wieder neue Überraschungen bereit.«
»Das weiß ich.«
Er griff in die rechte Tasche und zugleich auch in die linke. Aus beiden holte er verschiedene Gegenstände hervor. Zum einen war es eine Schere, zum anderen ein Stück hartes Papier in rechteckiger Form. Was er dann tat, verwunderte uns beide, denn er begann das Papier einzuschneiden.
Wir waren fasziniert. Der Mann bewegte seine Schere mit einer schon irren Geschwindigkeit, schaute hin und wieder mit einer ruckartigen Bewegung seines Kopfes auf mich, und ich stellte fest, dass er aus dem schwarzen Papier einen Menschen schnitt.
Es war ein Mann. Und es war jemand, den ich besser kannte, als alles andere auf der Welt.
Es war ich selbst!
Ein letzter Blick auf mich, ein zufriedenes Nicken, dann reichte mir Karl sein Kunstwerk. »Für Sie. Ein kleines Willkommensgeschenk, mein Herr.«
Ich schaute es mir an und musste zugeben, dass es wirklich ein Kunstwerk war. Innerhalb der kurzen Zeit hatte der Mann etwas Einmaliges geschaffen.
»Erkennen Sie sich wieder?«
»Ja. Und ob. Danke.«
»Ho, ho, ho…« Er schüttelte den Kopf. »Ich weiß nicht, ob Sie sich bedanken sollen. Das wird sich später herausstellen.«
»Ja, mal sehen. Aber warum haben Sie das getan? Was hat mir die Ehre verschafft?«
»Es ist ein Scherenschnitt.«
»Und weiter?«
»Ein Stück Seele. Gib gut auf ihn Acht. Ein Teil von dir.«
Ich suchte seinen Blick, was gar nicht so einfach war. Dann fragte ich: »Kann es nicht auch ein Schatten sein?«
»Gut!«, lobte er mich. »Ausgezeichnet. Ich darf dir gratulieren. Ein Schatten und ein Scherenschnitt. Jeder Mensch hat doch einen Schatten. Manche schaffen es sogar, sich von ihrem Schatten zu lösen.« Er lachte, verbeugte sich und zog dabei seinen Hut. »Wir werden uns sicherlich noch sehen.«
Bevor ich eine Antwort geben konnte, drehte er sich um und ging weg. Verblüfft schaute ich ihm nach und drehte mich dann nach links, wo der Kollege Knudsen stand.
»Sie kennen ihn?«
»Ja. Er heißt Karl Märtens.«
»Und weiter?«
»Karl ist ein Mitarbeiter des Dungeon. Er ist gewissermaßen der zweite Mann nach Rico Wilde, was das Dungeon angeht. Er ist derjenige, der die Besucher empfängt und sie dann mit dem Fahrstuhl in die Hölle hineinfährt.«
»Aha. Es geht also abwärts.«
»Ja.«
»Aber er ist noch mehr«, sagte ich. »Mit welch einer Fingerfertigkeit er mich als Scherenschnitt innerhalb kürzester Zeit geschaffen hat, das lässt schon auf eine wahnsinnige Begabung schließen. Alle Achtung, kann ich da nur sagen.«
»Er ist der Beste, John. Er hat
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