1186 - Der Henker vom Hamburg Dungeon
vierte Opfer!
Werde ich es?
Wieder erreichte ihn das Lachen. Es hörte sich nicht mal so schaurig an. Seine Besucher erlebten es bei ihrem Gang durch das Dungeon viel unheimlicher.
In diesem Augenblick kam es ihm vor, als würde es ihn aus der echten Hölle erreichen und nicht aus einer künstlichen, die hinter den Wänden aufgebaut worden war.
Der Henker blieb.
Er kam näher.
Er schwebte plötzlich von der Wand weg.
In den nächsten Sekunden erlebte Rico Wilde etwas, das ihn völlig aus der Bahn warf. Er konnte verfolgen, wie der Schatten seinen Weg nahm und keine Basis benötigte, auf der er sich abzeichnete. Er schwebte mitten im Raum. Er war plötzlich dreidimensional geworden, obwohl das physikalisch nicht möglich war. Aber wen interessierte hier schon die Physik? Die Naturgesetze galten nicht mehr. Sie waren auf den Kopf gestellt worden.
Der Schatten sagte nichts. Trotzdem war ein Geräusch zu hören. Wilde vernahm das eigene Jammern, das aus seiner Kehle floss. Er ärgerte sich selbst darüber. Er wollte es nicht, konnte es jedoch nicht verhindern.
Die Laute der Angst verließen stockend seine Kehle. In seinen Augen spürte er die Nässe. Am Hals rann ihm der Schweiß herab. Seine Beine zitterten dabei so stark, dass sich dieses Zittern auf den gesamten Körper übertrug.
Plötzlich war die Angst vor dem Tod da. Aber zugleich noch so weit zurückgedrückt, dass das andere in den Vordergrund trat, das er mit den eigenen Augen erlebte.
Der Henker kam auf ihn zu!
Es war verrückt. Aber er kam tatsächlich. Er ging über den Boden, ohne ein Geräusch zu verursachen. Wie ein Schatten eben. Die Gestalt hatte kein Gesicht. Sie besaß nur den menschlichen Umriss und natürlich dieses verdammte Beil mit der gewaltigen Klinge. Damit hatte der Schatten schon drei Menschen getötet.
Und jetzt der vierte?
Rico Wilde dachte nichts mehr. Die Gedanken waren in seinem Kopf ausgeknipst worden. Er sah nur den Henker, der sich jetzt reckte und sein verdammtes Beil noch höher anhob. Wenn er so zuschlug, dann konnte er sein Opfer in zwei Hälften spalten.
Er ist nur ein Schatten!, schoss es Wilde durch den Kopf. Er kann nicht morden, er kann nicht…
Das hässlich klingende Kichern störte seine Gedanken. Also doch kein Schatten - oder?
Da hämmerten harte Schläge gegen die Eingangstür!
***
Ich war zu Uwe Knudsen in den Wagen gestiegen und in Richtung Speicherstadt und Freihandelszone gefahren. Hamburg zeigte sich von seiner prächtigen Seite. Zwar wehte der Wind etwas heftig, aber er hatte auch den Himmel blank gefegt, sodass wir ein wunderbares Blau mit nur kleinen Wolkentupfern erlebten. Zudem schien die Sonne, die schon tiefer gesunken war, sodass die Gebäude Schatten erzeugten, die über die Karosserie des Wagens liefen und auch die leicht getönten Scheiben des Audis berührten.
»So lasse ich mir den Herbst gefallen«, sagte ich.
Mein Fahrer musste lachen. »Das Wetter hält leider nicht lange an. Aber das kennen Sie ja von London her.«
»Wem sagen Sie das.«
Auf den Wellen der Fleete spiegelten sich die Lichter und schimmerten wie gesprenkelte Punkte, die sich nie an einer Stelle aufhalten wollten.
Oft fuhren wir dicht am Wasser vorbei und hatten die Freihandelszone erreicht, in der wir das Ziel finden würden. Die Schranke war nach oben gestellt worden. In zwei Wachhäusern sah ich Beamte in Uniform sitzen, die sich um uns nicht kümmerten.
»Wird hier immer so wenig kontrolliert?«, fragte ich.
»Die kennen ihre Pappenheimer, John.« Knudsen suchte bereits nach einem Parkplatz. Er fand eine Lücke. Direkt neben einem alten Lagerhaus, dessen Backsteinfassade emporragte.
Wir stiegen aus. Vor uns lag ein Fleet, dessen Wasser sich leicht bewegte. Mit der linken Hand deutete der Oberkommissar auf ein Eckgebäude auf der anderen Seite der Zufahrt.
»Da ist es.«
»Sehr gut.«
Ich schaute mir das Haus erst an, als wir davor standen. Hinter uns befand sich der Kanal, über den auch eine Brücke führte. Vor uns lag der Eingang, und davor stand eine unheimliche Figur, aus deren Augen ein künstliches Feuer strömte.
Das Haus sah aus wie eine alte Fabrik. Von Knudsen wusste ich, dass vor einiger Zeit dort ein Musical aufgeführt worden war. Danach hatte man es umgebaut.
Der Eingang lag in Höhe einer Rampe. Jeder Besucher, auch wir, mussten die Stufen einer Treppe hochgehen.
Dazu kam es noch nicht.
Woher der Mann kam, hatten wir nicht gesehen. Jedenfalls war er plötzlich da. Für ihn gab es
Weitere Kostenlose Bücher