1188 - Wartesaal zum Jenseits
keine rationale Erklärung. Ich will mit derartigen Dingen deshalb nichts zu tun haben. Ich muss einfach anders denken.«
»Schade, Tessa.«
»Nein, für mich ist es gut.«
»Denken Sie an Ihre Mutter.« Clemens blieb hart. »Sie hat Sie gerufen. Sie nahm Kontakt auf. Sie hat Sie als Person ausgesucht, weil Sie ihre Tochter sind. Sie hat Sie nicht vergessen.«
»Das ist mir klar. Ich werde sie auch nicht vergessen können. Aber nicht auf diese Art und Weise. Was ich hier erlebe, ist nicht normal. Ich stecke tief in einer Sache, die ich nicht überblicken kann. Ich habe Angst bekommen. Ich brauche Hilfe…«
»Aber die haben Sie bei uns, Tessa!«
Die junge Frau sprang hoch. Sie wunderte sich selbst darüber, wie schnell sie sich bewegen konnte.
»Nein, Mr. Clemens, die habe ich nicht bei Ihnen und auch nicht bei Ihren komischen Freunden oder bei Ihrer Gemeinde. Sie sind zu stark in diesen Fall eingebunden. Das bin ich nicht. Auf keinen Fall. Ich kann und will dabei nicht mitmachen.«
»Aber Sie müssen es, Tessa!«
Die Worte waren sanft ausgesprochen worden. Trotzdem hatte Tessa die Drohung nicht überhört, die darin gelegen hatte. Sie war für einen Moment so überrascht, dass sie erst mal nichts erwidern konnte. Aber dieser Geistliche sah mehr aus wie eine Fleisch gewordene Drohung. Er wirkte plötzlich gefährlich, und seine nächsten Worte bestätigten Tessa darin.
»Wir lassen uns den Weg nicht mehr abschneiden. Auf das, was zwischen Ihnen und Ihrer Mutter geschehen ist, haben wir lange genug gewartet. Durch Sie erfahren wir, wie es im Wartesaal zum Jenseits aussieht. Sie hat Sie als Wirtskörper gefunden.«
»Nein, das stimmt nicht!« protestierte Tessa. »Sie steckt nicht in mir. Das weiß ich genau.«
Clemens lachte. »Richtig. Aber Sie sind die Verbindung. Sie sind fast ein Wirtskörper. Sie sind die Brücke. Wir werden über Sie die Informationen erhalten, die wichtig für uns sind. Wir können Sie nicht so einfach laufen lassen.«
Tessa wollte die Antwort nicht glauben. Das Blut stieg ihr in den Kopf. Es war einfach zu schlimm.
Wenn das alles stimmte, was Clemens gesagt hatte, war sie zu einer Gefangenen geworden. Sie sah diesen Priester jetzt mit anderen Augen an und fragte sich, ob er überhaupt ein normaler Priester war.
Tessa zwang sich zur Ruhe und wunderte sich darüber, dass sie es auch schaffte. »Können Sie mir sagen, was Sie damit gemeint haben?« flüsterte sie.
»Ja, das kann ich. Wir werden so lange beisammenbleiben, bis sich die Fronten geklärt haben und wir an unser Ziel gekommen sind. So einfach ist das.«
»Dann müssen Sie mich schon einsperren oder anders gewaltsam zurückhalten.«
»Es wäre die Konsequenz.« Seine Stimme nahm wieder die unnatürliche Sanftheit an. »Denken Sie doch mal nach, Tessa. Sie sind hier gut aufgehoben. Die Wohnung Ihrer Mutter steht leer. Sie können sich darin ausbreiten. Wir werden für Sie sorgen. Sie bekommen alles von uns, was Sie brauchen, und Sie müssen nichts anderes tun, als den Kontakt zu Ihrer Mutter aufrechtzuerhalten. Na, ist das ein Vorschlag? Ist das nicht wunderbar?«
»Für Sie vielleicht, aber nicht für mich.«
»Himmel!«, rief er und verdrehte dabei die Augen. »Sehen Sie sich die Welt doch mal aus einer anderen Perspektive an. Tun Sie sich den Gefallen. Schauen Sie hinter die Dinge und fangen Sie an, es zu begreifen. Lernen Sie. Seien Sie froh, dass sie mehr erleben als normale Menschen. Wem ist so etwas schon vergönnt? Ihnen werden die Augen geöffnet werden. Sie gehören jetzt zu uns. Auch Sie können den Weg der Heiligen beschreiten und…«
»Nein!«, brüllte Tessa den Mann an. »Nein und nochmals nein! Das will ich gar nicht. Es interessiert mich einen Dreck, ob ich den Weg der Heiligen gehen soll. Alles ist anders, verstehen Sie? Ich bin eine eigene Person, und ich habe mit meiner Mutter nichts zu tun. Ich werde und will nicht in der Wohnung bleiben. Ich habe mich befreit. Ich weiß, dass ich Dinge erlebt habe, die man sich nicht erklären kann. Zumindest ich nicht, und ich habe auch meine Konsequenzen gezogen. Ich bin nicht das kleine Pflänzchen, das man in verschiedene Richtungen knicken kann, wie man es gerade braucht. Das sollten Sie endlich begreifen, Mr. Clemens.«
Der Geistliche war während der Worte sehr ruhig geblieben, aber er hatte sehr genau zugehört und alles verstanden. Er wusste, wie man Menschen behandelte, und wartete genau ab, bis sich Tessa wieder einigermaßen beruhigt hatte.
»Ich
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