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1188 - Wartesaal zum Jenseits

1188 - Wartesaal zum Jenseits

Titel: 1188 - Wartesaal zum Jenseits Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jason Dark
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die junge Frau segnen. »Es ist Ihre verstorbene Mutter, Tessa. Sie schickt Ihnen einen Gruß. Sie wartet im großen Saal.«
    Tessa wollte nicht mehr in die Augen schauen. Deshalb blickte sie Clemens an. »Aber meine Mutter ist tot. Das wissen Sie, das weiß ich. Was ich hier in der Hand halte, ist nur eine Figur. Es ist kein Fleisch, das lebt…«
    Durch ein Kopfschütteln unterbrach Clemens sie. »Fleisch ist nicht wichtig, Tessa. Es kommt auf den Geist an. Und der Tod?« Er hob die Schultern. »Ja, er kann schlimm sein, aber der Mensch geht nie so ganz, verstehen Sie? Es verschwindet doch nichts. Es ist und bleibt alles von ihm vorhanden, was wichtig ist. Und das, Tessa…«, seine Stimme wurde noch leiser, »… ist die Seele. Ja, sie sie überhaupt das, was den Menschen ausmacht. Genau diese Seele hat sich Ihnen offenbart. Sie haben sie in den Augen gesehen.«
    Tessa war so durcheinander, dass sie nichts mehr antworten konnte. Sie begriff kaum etwas. Die Mutter war tot. Und jetzt auf einmal nicht mehr? Oder nicht so richtig? Ihr das zu erklären, war mehr als schwer.
    »Denken Sie immer daran, was wir alle wollen, Tessa«, sprach der Geistliche flüsternd weiter. »Wir wollen so werden wie sie. Ja, das ist unser Ziel. Es gibt so viele Heilige, die namenlos sind, jedoch existieren. Ihnen eifern wir nach. Sie sind unsere Vorbilder. Auch Ihre Mutter gehörte zu den Menschen, denen die Heiligen so wahnsinnig viel bedeuten. Es ist einfach wunderbar. Wir beneiden sie, dass sie es geschafft hat und sich nun in der anderen Welt aufhält. Im Wartesaal zum Jenseits. In dieser Dimension, die eine Brücke zwischen den Diesseits und dem Jenseits bauen kann. Das ist einfach grandios.«
    Ben Clemens hatte leise, aber auch sehr intensiv gesprochen und Tessa nicht aus den Augen gelassen. Sie fühlte sich von der Stimme eingelullt und kam sich vor wie weggetragen. Die Figur hielt sie noch immer fest. Jetzt hatte sie eine Hand darum geschlossen. Aus der Faust ragte der Kopf hervor.
    Auch die Schultern waren noch zu sehen. Der übrige Körper wurde umschlossen.
    Für Tessa Tomlin war es keine einfache Figur mehr, sondern schon etwas Besonderes. Ein kleines Wunder, in dem tatsächlich Leben steckte. Und das noch immer, denn die Augen sahen aus wie die ihrer verstorbenen Mutter.
    Tessa sah jetzt wieder in das Gesicht. Der klare Blick war nach wie vor da. Auch das Gesicht hatte sich nicht verändert, aber irgendetwas fehlte. Das merkte sie erst jetzt. Es lag an dem Ausdruck der Augen. Sie wollte nicht mehr abstreiten, dass die Augen Marga gehörten, aber sie erinnerte sich daran, wie sanft diese Augen oft geblickt hatten, wenn Mutter und Tochter zusammen gewesen waren.
    Genau das fehlte ihr jetzt. Und das irritierte sie. Denn es waren nicht mehr diese sanften Blicke, die sie als Kind und auch später so gemocht hatte. Da war eine Veränderung eingetreten. Für Tessa war die Mutter sehr fremd geworden. Sie konnte einfach keine Verbindung zwischen dem Körper, dem Blick und ihrer Mutter herstellen. Ihr fehlte einfach die hundertprozentige Übereinstimmung. Sie war sogar so weit zu sagen, dass die Augen sie abstießen.
    Sehr langsam bewegte sie den rechten Arm und stellte die Figur auf dem Tisch ab. Sie wartete darauf, dass der Geistliche sie nehmen und zur Seite stellen würde, doch das tat er nicht. Er ließ die Figur auf dem Tisch stehen und blickte Tessa an.
    »Was ist mit Ihnen geschehen? Mögen Sie sie nicht mehr?«
    Tessa zuckte die Achseln. »Ich kann es nicht sagen«, erwiderte sie. »Jedenfalls nicht genau. Sie ist mir irgendwie fremd geworden. Das ist nicht mehr meine Mutter, verstehen Sie?«
    »Nein… nicht direkt…« Die Stimme hatte sich leicht verändert. Tessa war der lauernde Klang nicht entgangen.
    Tessa rang mit sich. »Ich weiß, dass es schwer ist, so etwas zu erklären, aber ich muss bei der Wahrheit bleiben. Das Band zwischen uns besteht nicht mehr. Sie ist mir fremd geworden. Auch jetzt, wo sie mit mir gesprochen hat und ich in ihre Augen schauen konnte. Sie müssen das verstehen. Das werden Sie bestimmt. Marga ist tot, ich lebe, und der Graben zwischen uns ist einfach zu groß. Ich kann nicht darüber hinwegspringen.«
    Die Augen des seltsamen Geistlichen verengten sich. »Sie nehmen ihren Gruß nicht an?«
    »Genau.«
    »Was bedeutet das?«
    »Ich will nichts mehr mit ihr zu tun haben. Mit allem nichts, was hier vorgefallen ist. Ich kann damit nicht leben, und ich komme damit nicht zurecht. Für mich gibt es

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